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Paviankämpfe
Security kam vorbei gelaufen. „Ich habe da drüben die Paviane weggejagt,“ sagte ich zu ihm. Aber er interessierte sich im Augenblick nicht für Paviane, die ich von den Nachbarzelten verjagt hatte.
Mir ist gerade etwas passiert…“ fing er an. Er brauchte unbedingt jemanden zum reden.
„Als ich hinten an dem Toilettenhäuschen vorbei ging, fiel eine Schlange aus dem Baum, direkt neben mich.“
Schwarze haben eine fast panische Angst vor Schlangen. Er hatte sich zutiefst erschreckt. Ich fragte, wie denn die Schlange ausgesehen hatte. Sehr lang und dünn, schwarz, mit hellen Streifen.
„Vielleicht eine schwarze Mamba?“ fragte er sich.
Mambas gehören zu den gefährlichsten Schlangen überhaupt und es wäre unverantwortlich, solche Schlangen im Camp zu haben. Die Streifen sprachen aber dagegen.
Ich fragte ihn: „Waren die Streifen längs oder quer?“
„Längs.“
Dann war es vermutlich eine Peitschenschlange, ein sehr nützliches Tier (wie alle Schlangen) und für den Menschen ungefährlich. Es beruhigte ihn ein bißchen. Ich holte unsere beiden Schlangenbücher und wir studierten die Bilder. Die schwarze Mamba ist nicht gestreift. Ja, die Peitschenschlange könnte es gewesen sein.
„Aber man erschreckt sich doch, wenn man einer Schlange begegnet,“ sagte ich zu ihm. Er würde dafür sorgen, daß die Schlange nicht irgendwelche nichtsahnende Touristen erschrecken würde, versprach er. Ab sofort schauten wir in unserem Toilettenhäuschen genauer in die Ecken.
Das Leben auf dem Campingplatz war recht unkompliziert. Wir hatten zwar ein Radio und brachten uns auch eine Zeitung aus der Stadt mit, aber die Welt da draußen war irgendwie weit weg. Unsere Gespräche drehten sich eher um Pavian- oder Gnubabys die auf der Fläche herumtollten, oder über die Gabelracke, die jeden Vormittag auf demselben Busch gegenüber saß. Manchmal hatten wir das Gefühl, daß die Tiere gar nicht echt, sondern Automaten wie in amerikanischen Freizeitparks, waren, Automaten, in denen jemand einen Dollar reintat und dann konnte man ein Gnu unter dem Baum rechts sehen, oder die Gabelracke flog vom Baum gegenüber zum Busch beim Schwimmbad und wieder zurück. Der Baum auf der anderen Seite der Fläche war das Lieblingsklettergerüst der Paviankinder. Anita beobachtete, wie die Kinder miteinander spielten. Wutsch! war das eine weg und als die beiden anderen es suchten, sprang es von einem großen, überhängenden Ast auf die anderen beiden.
Die Fläche vor unserem Campingplatz war wie eine fußballfeldgroße Bühne. Hier kamen drei Rivierläufe zusammen. Der Campingplatz war leicht erhöht und von einer Steinmauer von der Fläche abgetrennt. Alle paar Meter gingen Stufen nach unten, die hauptsächlich von den Pferden benutzt wurden. Wir hatten also, wenn wir unter der Varanda des Zeltes saßen, Logenplätze für die Bühne. Links von uns aus gesehen war das Schwimmbad, rechts waren die Büros des Wildparks und gegenüber ein kleiner Hügel. Am Fuß des Hügels waren zwei große Weißdornakazien, das bereits erwähnte Klettergerüst der Paviankinder. Und zwischen all dem die große Fläche. Morgens tobten sich dort die Gnus aus, tagsüber grasten die Pferde dort, abends tummelten sich Warzenschweine auf der anderen Seite und immer wieder benutzten die Paviane die Fläche als Spielplatz.
Manchmal war die Bühne auch eine Kampfarena.
An einem Tag hörten wir vom Schwimmbad her großen Lärm. Paviane bellten, Menschen brüllten. Martin, mein Neffe, der gerade zu Besuch war und sich zusammen mit seinen beiden Brüdern beim Schwimmbad aufhielt, erzählte später, daß ein großes Pavianmännchen das Picknick einer unachtsamen Besucherin gestohlen hatte. Der Pavian wurde verscheucht und rannte mit einer großen Plastiktüte voller Sandwiches, Chips und Obst davon. Ein Pavianweibchen mit einem kleinem Jungen wollte auch etwas von der Beute abhaben. Diese Forderung fand auf der Bühne vor uns statt und wurde von allen Campern und Schwimmbadbesuchern atemlos verfolgt.
Eine schlimme Keilerei zwischen dem Männchen und der Pavianmutter entstand. Das Pavianbaby, daß sich bis da hin an der Mutter festgeklammert hatte, fiel zu Boden, saß dann in der Mitte der Bühne und schaute dem Ringkampf, dem Gebeiße und dem Geschrei der beiden streitenden erwachsenen Tieren etwas bedröppelt zu.
Das Pavianmännchen wandte eine grausame Taktik an, um der Mutter beizubringen, wer der Boß der Truppe sei: er trennte sie von ihrem Kind. Zuerst setzte er sich zwischen Mutter und Kind und immer, wenn sie an ihm vorbei zum Kind wollte – inzwischen war der Mutterinstinkt viel stärker als die Gier nach den Nahrungsmitteln – vertrieb er sie mit körperlicher Gewalt. Und immer, wenn das Baby zurück zu seiner Mutter kriechen wollte, schleuderte er es in die andere Richtung zurück.
Martin, Eduard und Michael beobachteten das Geschehen vom Schwimmbad aus. Einmal machte Martin mit einem Stock ein paar Schritte auf die Szene zu. Uns blieb fast das Herz stehen, denn ein ausgewachsenes Pavianmännchen in schlechter Laune kann einen Menschen töten. Und dieses Männchen hatte sehr schlechte Laune. Sofort rannte er auf Martin zu, der zum Glück die Gefahr erkannte und zurück zu den anderen Menschen lief. Leider war aber diese Ablenkung nicht lang genug um Mutter und Kind wieder zu vereinen. Wie ein Blitz rannte das Männchen zurück und platzierte sich wieder zwischen Weibchen und ihrem Baby.
Ein Wartespiel begann. Der Rest der Pavianherde setzte sich auf den Hügel gegenüber und beobachtete, wie wir, das Geschehen. Sie gaben kein Laut von sich. Ein anderes Weibchen mit Kind kam runter auf die Fläche und setzte sich, ein bißchen weiter weg, hinter die Mutter. Es war so, als ob sie ihr ihre Unterstützung geben wollte. Die Schwimmbadgäste standen links und schauten zu, wir, am weitesten entfernt, beobachteten das Geschehen durch Ferngläser. Ein paar Minuten war Stille.
Ich weiß nicht, was das Folgende auslöste; ich vermute, es war eine Bewegung vom Schwimmbad her. Jedenfalls fühlte sich das Männchen von der Richtung her bedroht. Er griff das Baby und rannte zum großen Baum am Fuß des gegenüberliegenden Hügels. Die Mutter rannte hinterher und ein weiterer wilder Kampf entstand dort unter dem Baum. Durch den aufgewirbelten Staub konnte man erkennen, wie der Körper des Babys durch die Luft wirbelt und hinter einem kleinen Busch leblos liegen blieb.
„Hatte er das Baby im Arm oder im Maul?“ fragte meine Mutter, die bei uns saß.
„Es sah aus wie das Maul,“ antwortete ich.
„Ja, es sah so aus.“
Da wir alle schon einen Pavianschädel gesehen hatten und das starke Gebiß der Tiere kannten, mussten wir das Schlimmste befürchten: das Baby war tot.
Das Männchen verjagte das Weibchen. Und wieder kam eine Phase des Wartens: Das Männchen unter dem Baum, der Rest des Rudels auf dem Hügel oder weiter weg auf der Fläche, links die Menschen beim Schwimmbad und wir mit unseren Ferngläsern beim Campingplatz. Das Weibchen wurde nicht mehr gesehen.
Über das, was nun geschah, gab es mehrere Zeugenaussagen und/oder Interpretationen. Wir vom Campingplatz konnten nicht sehen, was passierte, denn der Leib des Baby lag, von uns aus gesehen, hinter einem Busch. Aber von den Schwimmbadbeobachtern kamen folgende Aussagen: Der Alte ging hin zum Baby. Die einen meinten beobachtet zu haben, daß er versuchte, den Leib aufzurichten und zum Bewegen zu bringen, so wie ein Kind eine Puppe „laufen“ lässt, indem es sie festhält und die Beine bewegt. Andere beobachteten, daß der Alte das Baby fraß. Ich versuchte am Ende nicht, die verschiedenen Aussagen zu hinterfragen und herauszufinden, was wirklich geschehen war, denn alle waren sehr erschüttert.
Nach etwa einer halben Stunde stand das Pavianmännchen dann auf und verließ den Ort des Geschehens. Die anderen Paviane folgten nach einer Weile. Sie waren wohl auch unter Schock, denn sie bewegten sich sehr langsam und lautlos. Für mehrere Tage hintereinander wurden sie nicht mehr gesehen. Keiner kam, um die Mülltonnen nach Essbarem zu inspizieren. Der ganze Trupp hatte sich in die Hügel verzogen. Als wir am nächsten Tag nachschauten, ob wir den Körper des Babys finden konnten, war er weg. Wahrscheinlich hatten Schakale es in der Nacht geholt.
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