Warnung: In diesem bebilderten Bericht geht es um den Tod (eines Tieres), Verwesung und Aasfresser. Wenn du sensibel auf solche Themen reagierst, solltest du nicht weiterlesen.
Dienstag, 4. Januar 2022
Anita steht sehr früh auf, um die kühlen Morgenstunden für ihr Nordic Walking zu nutzen. Danach fährt sie immer noch über die Farm, hält nach Tieren Ausschau, übt Offroad-fahren und schreckt – so hoffen wir es jedenfalls – Wilderer ab. Für mich ist das um diese Jahreszeit morgens noch viel zu früh und so schlafe ich meistens eine Stunde länger.
Ich bin gerade aufgestanden, da erschallt aus meinem Smartphone der Klingelton, den ich für Anita eingestellt habe. “Oh-oh!” denke ich. “Entweder sie hat sich festgefahren und braucht Hilfe oder sie hat was Außergewöhnliches gesehen.”
Zweiteres ist der Fall. Bei dem einen Dammwall sitzen 50 bis 60 Geier, erzählt sie mir. Sie weiß, dass ich Geier liebe und dass ich sie sehen will. Ich ziehe mich schnell an, nehme meine Fotoausrüstung, springe in den Landcruiser und fahre los.
Schon mehrere hundert Meter vor der Dammmauer sehe ich die Geier. Sie sitzen überall auf den Bäumen herum. Mein Fernglas ist in Anitas Auto und so kann ich sie nicht beobachten.
Anita steht mit ihrem Auto auf dem Dammwall. Auf allen Bäumen um uns herum sitzen Geier. Es sind Weißrückengeier (Gyps africanus), die Geierart, die wir am meisten beobachten, aber auch – ich fasse es kaum – ein Kapgeier (Gyps coprotheres). Kann es sein? Ein Kapgeier? Er sieht fast so aus wie ein Weißrückengeier, ist aber viel größer. Ich brauche unbedingt mein Fernglas und steige deshalb aus, um es aus dem Nissan zu holen. Durch meine Bewegung schrecken die nächsten Geier auf und schweben zu etwas weiter entfernten Bäumen. Ich verliere den potenziellen Kapgeier aus den Augen.
Für mich wäre es sensationell einen Kapgeier hier zu sehen. Ja, sie werden hin und wieder in Namibia gesichtet, denn sie reisen gerne herum, aber es gibt hier keine brütende Paare mehr.
Neben dem Dammwall liegt ein totes Rind. Es ist keins von denen, die sonst in diesem Kamp sind und wir gehen davon aus, dass es an irgendwas gestorben ist und von den Farmarbeitern für die Geier hierher gebracht wurde.
Ich will erstmal bleiben, um zu schauen, ob ich wirklich einen Kapgeier gesehen habe. Etwa 50 Meter von dem Kadaver der Kuh entfernt finde ich, etwas abseits von der Pad, eine geeignete Stelle. Da kann ich so parken, dass mich die Sonne nicht stört, kann den Ort des Geschehens gut überblicken und bin weit genug vom toten Rind entfernt, um die Geier nicht zu stören.
Das Schöne am Landcruiser ist, dass ich alles dabei habe, um komfortabel ein paar Stunden im Busch verbringen zu können. Anita verabschiedet sich und fährt nach Hause.
Ruhe ist eingekehrt. Die Geier sitzen in den Bäumen und ich schlage erstmal in meinem Vogelbuch nach, was die Unterschiede zwischen Weißrücken- und Kapgeier sind. Kapgeier sind, wie schon erwähnt, größer als die Weißrückengeier. Beide gehören allerdings zur Familie der Gyps-Geier und sind sich deshalb vom Aussehen sehr ähnlich. Weißrückengeier haben dunkle Augen und Kapgeier haben helle Augen. Solche Feinheiten sind aber bei dem Abstand zwischen den Tieren und mir auch mit meinem guten Fernglas nicht ohne weiteres zu sehen. Viel einfacher sind die beiden Arten zu unterscheiden, wenn sie im Himmel gleiten. Die Flügel von Weißrückengeier sind ganz klar schwarz-hell abgegrenzt, die der Kapgeier sind viel heller. Ich schaue mir die schwebenden Geier an. Alles Weißrückengeier.
Ja, ich liebe Geier. Als Birderin liebe ich natürlich alle Vögel, aber Geier haben einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. Es liegt ganz bestimmt nicht an ihrem Aussehen, denn Geier gehören nicht von ungefähr zu den “Ugly Five” unter den afrikanischen Tieren. Wobei die der Familie Gyps noch Schönheiten im Vergleich zu den Ohrengeiern (Torgos tracheliotus) sind.
Wo sind überhaupt die Ohrengeier? frage ich mich. Die sind doch sonst auch immer wieder zu sehen. Ein paar sehe ich auch etwas weiter entfernt auf den Bäumen sitzen.
Bei Geiern gibt es Arbeitsteilung: Die Ohrengeier fressen am liebsten Haut und Sehnen und sind meistens diejenigen, die das tote Tier aufbrechen. Weißrücken- und Kapgeier mögen lieber Organe und Muskelfleisch. (Es gibt noch die Knochenspezialisten – die Bartgeier -, aber die kommen bei uns in Namibia nicht vor.)
Geier sind Tiere, an denen man sehr gut das Zusammenspiel der verschiedenen Spezies in der Ökologie beobachten kann. Sie fressen ausschließlich Aas und sind die Müllkutscher der Natur. Dadurch, dass sie tote Tiere auffressen, entfernen sie nicht nur verwesendes, stinkendes Fleisch und bringen es durch den Kot wieder in die Natur zurück, sondern sie verhindern auch, dass sich Krankheiten wie Tollwut ausbreiten.
Nach ungefähr einer Stunde fliegen die Geier wieder los. Sie schweben in großen Kreisen über mich hinweg. Ich erwarte, dass sie sich gleich an die tote Kuh machen und mache meine Kamera mit Teleobjektiv bereit.
Dann kommt ein Auto. Es ist der Farmverwalter und seine Frau. Die Geier drehen ab und lassen sich wieder auf den Bäumen nieder. Natasja kommt gucken, ob bei mir alles in Ordnung ist. Ich sage, dass ich die Geier fotografieren will und dass ich alles habe, was ich brauche. Sie erzählt mir, dass die Kuh beim Kalben gestorben ist. Ich frage noch, ob das Rind Schmerzmittel wie Diclofenac bekommen hat. Nein, nur Antibiotika. Sie fahren wieder ab.
Fast alle Geierarten der Welt sind vom Aussterben bedroht. Gründe dafür gibt es viele, aber ein Hauptgrund ist Diclofenac. Es ist Gift für die Tiere. Natasjas Aussage beruhigt mich. Unsere Geier werden nicht vergiftet werden.
(Hier kannst du mehr über das Aussterben der Geier lesen: “Die Geierkrise weitet sich aus”.)
Kurz danach fliegen die Geier wieder los. Aber sie fliegen nicht zum Kadaver, sondern kreisen nur am Himmel. Ich schaue mir ihre Flügel von unten an. Es sind alles Weißrückengeier. Nach einer Weile haben sich alle Geier von den Bäumen erhoben. Aber noch immer nicht fliegen sie zur Kuh. Ich sehe sie kreisen und wenn ich nicht in den Himmel schaue, sehe ich ihre Schatten auf dem Boden.
Dann sind sie weg. Kein Geier ist mehr zu sehen. Ich bin verwirrt, denn bisher war unsere Erfahrung mit Geiern eine völlig andere: Sobald ein totes Tier im Veld lag, kamen unzählig viele Geier und fraßen es bis auf die Knochen auf. Warum fliegen sie nicht zur Kuh? Warum fliegen sie weg?
Ich warte. Es wird mir nicht langweilig, denn ich habe mein Smartphone dabei.
Es wird Mittag. Die Geier sind immer noch weg. Ich frage mich, ob der Landcruiser vielleicht doch zu nah am Kadaver steht und sie abgeschreckt hat. Den Gedanken verwerfe ich dann aber wieder. Als wir am Morgen mit zwei Autos auf dem Dammwall standen, sind sie nicht voll Panik weggeflogen, sondern nur in die Bäume in der Umgebung – so wie sie es immer tun. Dennoch suche ich mir einen Platz etwas weiter entfernt aus, auf dem ich am Nachmittag stehen möchte.
Erstmal fahre ich nach Hause. Ich habe ja den ganzen Tag noch nichts gegessen und bin sehr hungrig. Anita wartet schon mit einem leckeren Frühstück auf mich. Ich fülle alle Wasserflaschen, nehme mir noch eine Cola und eine Banane und mein Tablet mit und fahre wieder zurück. Diesmal stelle ich das Auto auf der ausgespähten Stelle ab. Sie ist ungefähr 100 Meter vom Kadaver entfernt. Ich kann die Kuh zwar noch sehen, aber es sind auch Büsche zwischen ihr und mir.
Kein Geier ist zu sehen. Haben sie woanders einen leckereren Kadaver gefunden? Ihr Lebensraum ist groß. Vielleicht sind sie hoch in den Erongo geflogen, weil es dort ein größeres Tier gibt? Aber, davon bin ich überzeugt, sie werden zurückkommen.
Ich mache es mir im Cruiser gemütlich und lese. Es wird sehr heiß. Meine Wetterapp zeigt 37 Grad für die Region an. “Blutigwarm” sagen die Buren zu solchen Temperaturen.
Um 16:30 ist das Akku vom Tablet alle und das vom Smartphone fast. Ich entscheide mich, abzubrechen.
Zu Hause angekommen nehmen wir uns vor, dass wir am Abend nochmal zum Damm fahren wollen. Nein, wir werden Nachts keine Geier sehen, aber vielleicht Hyänen und Schakale? Wir wissen, dass es Hyänen auf der Farm gibt. Oft haben wir ihre Spuren gesehen. Aber es sind sehr scheue Tiere und wir konnten noch nie eins beobachten.
Um 21:00 Uhr fahren Anita, Metta und ich los. Der Mond hängt als trübe Sichel über den Erongo und wird bald untergehen. Es ist sehr dunkel, aber Anita hat unseren Scheinwerfer dabei.
Bei der Kuh ist überhaupt nichts los. Keine Hyäne. Kein Schakal. Wenn man davon absieht, dass sie Geier am Morgen schon die Augen ausgepickt haben, ist der Kadaver noch völlig unversehrt. Wir machen noch eine schöne Nachtfahrt über die Farm und gehen ins Bett.
Mittwoch, 5. Januar 2022
Ich stehe früher auf als sonst und bin schon um 8:00 Uhr beim Damm und der Kuh. Ich stelle mein Auto bei der etwas weiter entfernten Stelle ab und gehe zum Kadaver.
Just in dem Augenblick kommt Anita von ihrem Farmdrive vorbei. Ich berichte ihr über den Zustand der Kuh. Es war auf jeden Fall ein Tier dagewesen, denn die Brust und die Vorderläufe der Kuh sind angefressen. Wir können aber nicht sehen, welches Tier es war, denn das Gelände ist geröllig und keine Spuren sind zu sehen. Ich finde noch eine schöne Geierfeder.
Dann fährt Anita weiter und ich ziehe mich in den Landcruiser zurück. Heute habe ich gefrühstückt und mir noch einen Kaffee im Thermobecher mitgebracht. Alle elektronischen Geräte sind geladen und ich kann lesen, ins Internet gehen oder gamen.
Mittags sehe ich auf einem weit entfernten Baum einen Ohrengeier sitzen. “Ah!” denke ich. “Die Geier kommen zurück!” Ich suche den Himmel ab. Kein Tier ist zu sehen und nach einer Weile fliegt der Ohrengeier davon.
Als ich vom Mittagessen wieder zurück zum Damm fahre, mache ich einen Umweg über den Geierwald. Das ist eine Stelle auf der Farm, wo einige hohe Akazien dicht gedrängt an einer Stelle stehen. Dort haben wir schon oft Geier beobachtet und vermuten sogar, dass ein Paar dort brütet. Heute ist keins der Tiere zu sehen.
Der Nachmittag ist wie der Vormittag und der Nachmittag davor. Ich sitze im Cruiser und lese. Kein Geier kommt vorbei. Als das Akku meines Tablets leer wird, fahre ich wieder nach Hause.
Donnerstag, 6. Januar 2022
Nach dem Frühstück fahre ich mit geladenen elektronischen Geräten und einem Kaffee wieder los.
Wieder stelle ich mich auf meinen Parkplatz und wieder schaue ich mir das Rind an. Es ist ein wenig mehr angeknabbert, aber im Großen und Ganzen noch vollständig. Es fängt an zu stinken – kein Wunder nach zwei Tagen von blutigwarmen Temperaturen.
Kein Geier ist zu sehen. Einmal kommt ein Schwarzbrustschlangenadler vorbei. Der ist schön anzusehen, aber er interessiert sich nicht für Aas.
Heute fahre ich schon Mittags wieder nach Hause. Ich langweile mich zwar nicht da draußen beim Damm und der toten Kuh, aber ich habe noch andere Dinge zu erledigen.
Warum kommen keine Geier zur Kuh? Es gibt mehrere Möglichkeiten:
- Sie haben woanders ein totes Tier gefunden und fressen es erstmal auf. Dann werden sie aber bald wieder Hunger haben und vielleicht zurückkommen.
- Dass ich sie auf meinem Beobachtungsstand störe, schließen wir aus. Vorige Begegnungen mit Geiern haben uns gezeigt, dass sie nicht sehr scheu sind und sich nicht leicht von einem toten Tier vertreiben lassen.
- Vielleicht ist es das Antibiotika, dass die Kuh vor ihrem Tod bekommen hat? Das würde vielleicht erklären, warum die Hyänen und Schakale so zögerlich sind. Die Geier waren aber gar nicht so lange am Kadaver – sie haben ihn ja nochnichtmal aufgebrochen – und hätten auch gar nicht so lange in den Bäumen gesessen, wenn sie die Kuh nicht kulinarisch interessant gefunden hätten.
Freitag, 7. Januar 2022
Heute verschlafe ich ein wenig und bin erst um 8:30 am Damm und bei der Kuh. Ich habe aber nichts verpasst. Kein Geier ist zu sehen.
Bei der Inspektion des Kadavers sehe ich, dass sie nun auch an den Hinterläufen angeknabbert ist und sehe einen Abdruck einer Hyänenpfote. Die Kuh stinkt nun sehr stark. Viele Fliegen umschwärmen sie.
Ich verbringe den Vormittag wieder im Auto und lese. Mittags dreht sich der Wind. Er kommt aus Nordosten. Das ist einerseits gut, denn Nordostwind bringt Regen, aber er weht auch den Gestank des Kadavers bis zu mir ins Auto. Kurz danach mache ich mich wieder auf dem Weg nach Hause.
Samstag, 8. Januar 2022
Es ist Samstag. Anita und ich stehen ein wenig später auf, frühstücken gemütlich und erledige ich noch ein paar Kleinigkeiten im Haushalt. Es ist also später als in den vorigen Tagen, dass ich mich auf dem Weg zur Kuh am Damm mache.
Ich fahre am Geierwald vorbei. Kein Geier ist zu sehen. Aber ich kann durchaus meine Birdingliste für Januar 2022 um ein paar Vögel ergänzen. Am schönsten ist eine Strichelracke, die direkt neben dem Weg auf einem Baum sitzt.
Als ich bei der toten Kuh ankomme, fliegen drei Geier auf. Es sind Weißrückengeier, die sich auf nahen Bäumen niederlassen. Wir beobachten uns gegenseitig. Nach einer Weile fliegen sie auf. Sie kreisen noch ein wenig über mir herum. Dann fliegen sie weg.
Ist es doch das Auto, das sie stört? Es wäre zwar untypisch, könnte aber sein. Ich nehme mir vor, dass ich nächste Woche, wenn wir nach Windhoek fahren, das Tarnnetz mitnehme. Bei dem nächsten Geierprojekt werde ich meine Beobachtungen anders ausführen.
Ich gehe zur toten Kuh. Seit meinem letzten Besuch wurde sie bewegt. Die einzigen Tiere, die ich mir für sowas vorstellen kann, sind Hyänen, aber es ist sehr schwierig auf diesem Boden Spuren auszumachen. Ich sehe auch, dass das Gras, dass sich in den Mägen oder Darm der Kuh befand, auf dem Boden neben der Kuh liegt. Wer immer es war ist wohl von hinten in die Kuh gelangt. Da die Kuh beim Abladen auf dem Bauch landete, können die Aasfresser nicht über die Bauchseite ans innere der Kuh gelangen. Das hindert sie aber nur geringfügig – es gibt genug an den Beinen und Rücken zu fressen.
Die Kuh stinkt bestialisch. Als ich zum Auto zurückkehre, hat sich der Wind wieder aus Nordost gedreht und der Gestank kommt bis zu mir. Ich bleibe noch etwa eine Stunde sitzen in der Hoffnung, dass die drei Geier nur ihre Kumpels abholen sind, aber keiner der Vögel kommt zurück. Ich warte noch eine Stunde und dann fahre ich wieder nach Hause.
Am Nachmittag stelle ich mich nochmal für drei Stunden auf meinen Parkplatz am Damm. Es geht mir nicht nur um die Geier, sondern um eine Neugier, was mit einem toten Tier im Veld passiert. Geier sind ja nicht die einzigen Aasfresser. Vielleicht kommen auch Schakale oder eine Hyäne vorbei? Allerdings werden sie sicher eher in der Nacht kommen. Dann sind sie ungestört.
Wolken sind aufgekommen und im Osten über dem Etjo und Wilhelmstal regnet es. Aber der Wind hat sich wieder gedreht und kommt aus Südwesten. Das ist schlecht für unsere Regenchancen, aber zumindest bin ich nicht dem Gestank des Kadavers ausgesetzt.
Kein Tier, weder ein Geier, noch eine Hyäne kommt vorbei. Am Abend fahre ich wieder nach Hause.
Sonntag, 9. Januar 2022
Ganz früh am Morgen fährt Anita wieder auf die Farm. Sie hat den Auftrag mal am Damm vorbeizufahren und zu schauen, ob es sich lohnt, den Kuhkadaver zu beobachten. Sie berichtet, dass ein Geier da ist, und dass der Körper nicht mehr an der alten Stelle liegt.
Da ich viel mit anderen Projekten zu tun habe, kann ich nicht hinfahren.
Montag, 10. Januar 2022
Wieder fährt Anita am frühen Morgen an der Kuh vorbei. Sie hat einen Geier gesehen und der Kadaver wurde noch weiter weggezerrt.
Ich fahre nach dem Frühstück hin und schaue nach.
Ein Geier flattert davon. Federn um der Kuh herum zeigen mir aber, dass noch andere Vögel da waren. Allerdings sind Geier nicht so stark, dass sie ein Rind so weit von dem ursprünglichen Platz schleifen können. Meine Vermutung, dass es Hyänen waren, werden durch frische Spuren in der Nähe des Fundorts bestätigt.
Ich sehe, dass die Kuh ausgehöhlt wurde. Da, wo in den Keulen und Blättern Muskelfleisch war, ist die Haut eingefallen. Überall liegen Rippenknochen herum. Wer immer dort gefressen hat, ist über Brust und Hinterteil an die Kuh herangegangen und hat sich von dort in das Tier hineingefressen. Hätte die Kuh auf der Seite oder auf dem Rücken gelegen, wären die Aasfresser, wie meistens, über den Bauch gegangen. Da sie aber auf dem Bauch lag und erstarrte, war das Fressen mühsamer, aber am Ende haben sie nichts liegengelassen. Dann sehe ich auch, dass die Haut des rechten Brustkorbs aufgerissen wurde. Dahinter ist es hohl.
Heute stinkt das Tier nicht ganz so schlimm wie vor zwei Tagen. Es ist nicht mehr viel übrig, dass verwesen kann und die trockene Luft und die Hitze haben den Rest ausgedörrt.
Der Geier, den ich beim Tier überrascht habe, ist nicht mehr zu sehen. Ich fahre nach Hause.
Anita hat mit Max von der Nachbarfarm gesprochen. Er gibt uns einen weiteren möglichen Grund, warum die Geier vom Kadaver weggeflogen sind. Vielleicht haben sie einen Leopard gesichtet, der in der Nähe war. Möglich wäre es. Um die Stelle herum gibt es genug hohe Bäume, in denen sich ein Leopard aufhalten könnte. Ich selbst habe keinen gesehen, aber das heißt ja noch lange nicht, dass es keinen gibt. Geier können ihre Beute aus über drei Kilometer Höhe sehen. Ihre Augen sind also weitaus besser als meine.
In den Tagen danach…
… konnte ich nicht zur Kuh am Damm fahren. Wir mussten nach Windhoek, wurden u.a. geimpft und ich hatte eine leichte Impfreaktion.
Deshalb beende ich meine Berichterstattung erstmal. Es wird nicht die letzte Geiersichtung gewesen sein und fürs nächste Mal habe ich ein Tarnnetz aus Windhoek mitgebracht.
Ich bin froh, dass ich die Zeit hatte, ein paar Tage lang immer wieder auf die Farm fahren zu können und zu schauen, was die Natur mit einem toten Tier macht. Etwas, was mir ganz deutlich geworden ist, ist, dass der Tod natürlich ist und dass das Ökosystem Mechanismen hat, um Kadaver zu beseitigen und Krankheiten zu verhindern. Das klingt makaber, ist kein schöner Anblick und auch der Geruch ist abscheulich. Aber so ist es nun mal.
Leider konnte ich den Kapgeier nicht bestätigen oder spektakuläre Fotos von Geiern oder Hyänen machen. Aber die Natur ist kein Zoo und wir haben kaum Einfluss darauf, welche Tiere wann wohin kommen. Dennoch war es eine interessante Zeit.
Henny& Michael says
Wir haben mit Spannung den Bericht über die Aasfresser gelesen. Interessant welche Rätsel die Natur immer wieder stellt. Am besten hat uns allerdings deine Geduld Annette und deine Beobachtungsgabe gefallen- schön dass wir daran Anteil haben konnten.
Die nächsten Geier liegen vielleicht schon auf der Lauer