This post is also available in: English (Englisch)
Dosendeckel-Doris
Ein uralter Landrover keuchte vom Büro her rüber zum Campingplatz. Wir saßen mal wieder mit Ferngläsern unter unserem Baum in Moonchairs und beobachteten, wie der Wagen in den Campingplatz einbog und, auf der Suche nach dem besten Platz einmal hin und einmal her an uns vorbei fuhr. Drinnen saßen zwei Frauen.
Die Fahrerin war schon etwas älteren Jahrgangs. Kurze, dunkle Haare – ganz klar: eine von der Fraktion! Auf dem Rücksitz (es gab keinen Beifahrersitz) saß eine jüngere Dame. Die beiden bauten ganz am anderen Ende des Platzes ihren Camp auf. Der Camp bestand aus einem kleinen Zelt (2 x 1,5 m Grundfläche, 50 cm hoch) und unendlich vielen Plastiktüten, die im Landrover oder um das Zelt herum deponiert wurden. Das wars. Es gab keinen Campingtisch oder -stühle. Nur das Zelt, den Landrover und Plastiktüten. Anita meinte: „Die müssen sich aber sehr lieb haben, wenn sie in einem so kleinen Zelt wohnen können!“ Security schaute leicht verzweifelt, denn wie sollte er auch noch dieses Durcheinander vor Pavianen und anderen Dieben schützen?
Die beiden blieben zehn Tage – eine kleine Ewigkeit für Daan Viljoen.
Die ältere der beiden war normal. Sie klemmte sich morgens früh eine Zeitung, in der ein Buch eingewickelt war, unter dem Arm und ging Richtung Schwimmbad. Abends kam sie wieder zurück.
Ihre Partnerin war … seltsam. Manchmal stellte sie sich, die Hände in die Hüften gestemmt, bei einen fremden Camp hin und schaute die Leute dort stirnrunzelnd an. Natürlich wurde sie gefragt, ob man ihr helfen könne. Dann ging sie wortlos weiter. Aber das war noch nicht das seltsamste.
Grundsätzlich tat sie zwei Dinge: sie wusch Wäsche oder sie verbrachte die Zeit in den Sanitäranlagen für Damen, von unserem Platz schräg gegenüber. Wir konnten uns nicht erklären, warum sie täglich Wäsche waschen musste. Schließlich musste doch in den unendlich vielen Plastiktüten auch noch Ersatzkleidung sein. Aber sie wusch ihre Klamotten mit Hingabe in der kleinen Waschküche hinter unserem Nachmittagsbaum. Dabei sang sie vor sich hin.
Und sonst hielt sie sich in den Sanitäranlagen auf. Dort saß sie meistens auf eine der drei Toiletten (und verschloss nie die Türe), brabbelte sie vor sich hin oder sang. Wenn man dann mal aufs Klo musste verstummte sie, sobald man die Anlage betrat. Man stand nun vor drei Toilettentüren und garantiert saß sie hinter der Tür, die man sich aussuchte. Durch das Gebrabbel, Gesumme und Gesinge war einem der Ort sowieso schon unheimlich geworden. Wenn man sie dann aber noch auf der Toilette sitzen sah (ohne dass sie das tat, was man normalerweise dort tut – sie saß nur da), erschrak man sich fast zu Tode.
Man merkt: die Frau war uns nicht ganz geheuer. Anita las zu der Zeit einen Krimi, in dem es um zerstückelte Leichen ging. Wahrscheinlich war es der Einfluss des Gelesenen, der sie sagen ließ: „Wir müssen aufpassen, wo wir die Deckel der Konservendosen hintun. Wenn wir nicht aufpassen, schneidet sie uns mit so einem scharfen Deckel die Kehlen durch!“
Seitdem hieß die junge Frau „Dosendeckel-Doris.“
Einmal ging Anita auf die Toilette. Diesmal saß Doris nicht auf dem Klo. Sie hatte zwar in einer Kabine alle möglichen Sachen deponiert, aber sie stand vor den drei Waschbecken. Sie balancierte auf den rechten Fuß, den der linke wurde gerade in einem der drei Waschbecken gebadet. Sie selbst befand sich vor dem zweiten und hatte Schaum vor dem Mund: sie putzte sich die Zähne. Als Anita sich nach dem Toilettengang die Hände waschen wollte, stellte sie fest, dass Doris inzwischen ihre Sachen aus der anderen Toilettenkabine geholt und diese im dritten Waschbecken deponiert hatte. Also musste Anita sich die Hände am Wasserhahn am Camp waschen.
(Nein auf dem Bild ist Dosendeckel-Doris nicht zu sehen, aber die Sanitäranlage, um die es hier geht)
Wenn ihre Freundin abends vom Schwimmbad nach Hause kam, ging auch Doris zurück ins gemeinsame Camp. Meistens jedenfalls… Eines Abends gingen Anita und ich wie jeden Abend duschen. Das verlief immer nach demselben Muster. Es gab drei Duschkabinen, von denen zwei funktionierten. Die eine war recht groß und hatte, hinter einem schützenden Mäuerchen, ein Bänkchen, auf das man seine Sachen abstellen konnte. Die andere nicht. Anita ging immer in die Duschkabine mit dem Bänkchen. Ich ging derweil in das größte der drei Toilettenkabinen, in der es auch ein eigenes Waschbecken gab. Dort hatte man genug Platz, sich aus- und anzuziehen und die Sachen wurden dort garantiert nicht nass. Dort zog ich mich aus und ging dann rüber zur Duschkabine, duschte und trocknete mich ab und zog mich dann wieder im Toilettenhäuschen um.
Soweit die Dusch-Logistik. Wir kamen also abends spät in die Sanitäranlage. Es war dunkel. Wir waren so beschäftigt, den Lichtschalter zu suchen, dass wir erst, als wir schon vor den Duschkabinen standen, merkten, dass jemand sang. Doris saß mal wieder auf einer der Toiletten. Im Dunkeln. Und sang. Natürlich in „meiner“ Toilettenkabine, die ich zum Duschen benutzte. Anita hatte sich ziemlich erschrocken so spät noch Doris zu hören, ging schnellen Schrittes in ihre Duschkabine und verschloss die Tür mit einem lauten Knall. Und ließ mich allein mit der Irren zurück!
Sie merkte nicht, dass ich in der Spur umdrehte, wieder herausging und in eine andere, weiter entfernte Sanitäranlage ging um dort zu duschen. Dort funktionierte zwar nur halb so viel, aber immerhin brauchte ich dort keine Angst vor Dosendeckel-Doris zu haben.
Anita duschte. Es war sehr still geworden in der Sanitäranlage. Außer ihrer eigenen Dusche hörte sie nichts. Meine Dusche spritzte nicht und auch Doris hatte aufgehört zu singen.
„Schatzi?“ fragte sie. „Schatzi, bist du da?“
Totenstille.
Anita schaute auf dem Boden, ob vielleicht schon Blut unter der Trennwand hineinfloß. Es war aber nur Wasser der eigenen Dusche. Sie trocknete sich gar nicht groß ab, sondern zog schnell den Schlafanzug an. Auch aufs Zähneputzen wurde erstmal verzichtet. Das kann man auch im Camp.
Im Camp war niemand. Ich war ja in eine andere Sanitäranlage gegangen. Als ich dann frisch geduscht und mit geputzten Zähnen in unser Camp zurück kam, war Anita sehr erleichtert. Sie hatte schon überlegt, wie sie mitten in der Nacht Security finden könnte.
Seit diesem Erlebnis gingen wir auch tagsüber lieber in die andere Sanitäranlage wenn wir wussten, dass Doris wieder in der für uns am nächsten gelegenen saß.
Wir haben nie ein Wort mit Dosendeckel-Doris gewechselt.
Schreibe einen Kommentar