Das Marienflusstal
Das sagenhafte Marienflusstal liegt in einer Ecke im äußersten Nordwesten Namibias. Immer wieder wollten wir mal dahin fahren, denn andere Reisende berichteten von traumhaften Landschaften. Aber das Tal ist sehr abgelegen und da es dort überhaupt keine Tankstellen gibt, muss man extra Sprit mitnehmen.
Dem Namen nach könnte man annehmen, dass das Tal von einem Fluss geschaffen wurde, aber es handelt sich um ein weites Gletschertal aus einer Eiszeit. Es gibt ein trockenes Flussbett, das in den Kunene mündet, aber der Fluss heißt Otjindjangi.
Ben van Zyl, der in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts im Kaokoland arbeitete, fand das Marienflusstal so abgelegen, dass er eine Abkürzung durch die Berge baute: den berühmt-berüchtigten Van Zyl’s Pass. Diesen hatten wir 2020 befahren und so auch das südliche Ende des Marienflusstals kennengelernt. Aber der Van Zyl’s Pass ist der schwierigste Pass, den es in Namibia gibt und wir wollten ihn nicht ohne Tour Guide befahren.
Es gibt zwei Problemstellen im Van Zyl’s Pass. Dort braucht man jemanden, der draußen steht und einen den Weg hinunterführt. Der Fahrer kann nicht den Weg über die Kühlerhaube sehen, aber 20 Zentimeter zu weit nach links oder rechts könnte einen Absturz in den Abgrund bedeuten. Diese Verantwortung über die Gesundheit oder das Leben eines anderen Menschen wollten wir nicht auf uns nehmen.
Chris hatte sich in der Planung den Van Zyl’s Pass gewünscht. Wir konnten ihn davon überzeugen, diese Strecke auszulassen und stattdessen lieber über den Marble Camp und Joubert Pass nach Rooidrom und dann weiter ins Marienflusstal zu gelangen.
Joubert Pass

Beim Joubert Pass handelt es sich um einen zweiten Pass im Kaokoland, der nach einem Joubert benannt wurde. Jan Joubert, der diesen Weg erschlossen hat, nannte ihn „Rooidrom Pass“, aber inzwischen wird er zu seinen Ehren benannt. Im Gegensatz zu dem Pass auf der C43 zwischen Sesfontein und Opuwo, ist dieser Joubert Pass wirklich wild. Er würde die schwierigste Pad auf unserer ganzen Reise werden.



Es gab zwei Schwierigkeiten am Joubert Pass: der Weg war sehr uneben und scharfe Steine steckten vor allem auf der einen Seite in die Pad und könnten uns die Reifen aufschlitzen. Anita und ich hingen mit den Köpfen aus den Seitenfenstern, um an den scharfen Steinen vorbeizumanövrieren.

Wir waren schon fast am Gipfel des Passes, als Chris sich über Funk meldete. Sein Luftfahrwerk war ausgefallen. Er konnte nicht mehr weiterfahren, da die Achsen nicht hoch genug über den unebenen Weg lagen. Er steckte fest. Zurück ging es auch nicht.
Anita und ich hielten an, konnten aber nicht umkehren. Ich ging zu Fuß zurück. Der Kompressor für das Luftfahrwerk war wohl überhitzt. Wir mussten warten, bis es sich abgekühlt hatte. Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis das Auto wieder fahrbereit war. Während wir warteten, redeten wir darüber, dass wir nie mit einem Land Rover Discovery den Van Zyl’s Pass befahren würden.

Wir konnten weiterfahren. Der Weg wurde bald sehr viel besser und um die Mittagszeit erreichten wir Rooidrom, das rote Fass, das als Wegweiser im südlichen Marienflusstal steht.

Viele Reisenden, vor allem die, die aus der anderen Richtung vom Van Zyl’s Pass gekommen sind, haben ihre Namen auf Steine geschrieben und sie ums Rooidrom hingelegt. Da die Sonne die Namen schnell wegbleicht, haben wir uns diesem Brauch nicht angeschlossen.
Chris war wieder hangry. Wir wollten anhalten und eine Mittagspause machen, aber es gab keinen Schatten. Oder, wenn es Schatten gab, war auch eine Ovahimbasiedlung gleich nebenan und wir wussten ja von Onganga, dass die Ovahimbas sehr neugierig sind. Also fuhren wir weiter.
Wir erreichten ein Autowrack, dass vor etwa 40 Jahren, als noch Krieg hier oben im Norden war, von einer Landmine auseinandergerissen war.

Shebeen
Chris meldete sich wieder über Funk: „iOverlander sagt, dass es in sieben Kilometern eine Tankstelle und Laden gibt. Wollen wir mal schauen, ob wir dort tanken können?“
Anita und ich schauten uns verwundert an. Das war das erste Mal, dass wir von einer Tankstelle und Laden im Marienflusstal hörten. Wir waren sowieso skeptisch, was iOverlander-Wegpunkte betraf. Aber dann erreichten wir ein Straßenschild:

Sechs Kilometer entfernt sollte es einen Shebeen und Tankstelle geben. Ein Shebeen ist eigentlich eine Lokalität, bei der man alkoholische Getränke kaufen kann, wie eine Kneipe oder ein Bottle Store. Aber vielleicht hatte dieser Shebeen ein größeres Angebot an Waren?
Der Shebeen war westlich von Mount Ondau und ich wollte eigentlich östlich dran vorbeifahren, aber das wollten wir untersuchen. Wir fuhren hin und erreichten eine Ovahimbasiedlung mit einem gemauerten Gebäude – dem Shebeen. Ein Radio war an einem kleinen Solarpanel angeschlossen und spielte afrikanische Musik. Zwei Männer standen beim Shebeen. Daneben war noch ein kleinerer Schuppen, in dem ich Fässer für Benzin und Diesel sah.


Der Laden war leer und es gab weder Benzin noch Diesel zu kaufen. „Nächste Woche kommt wieder Sprit,“ sagte einer der Männer. Aus alter Erfahrung interpretieren wir solche Aussagen mit „vielleicht in diesem Monat, vielleicht im nächsten, vielleicht auch gar nicht.“
Der andere sagte, dass die alle Ovahimbas auf Mount Ondau seien für ihre A.G.M. (Annual General Meeting). Ich wusste, dass Mount Ondau der heilige Berg der Ovahimba ist, und dass sie sich wohl nicht für Businessgesprächen dort trafen. Touristen werden angehalten, den Berg nicht zu betreten. Ich fragte, ob wir auf der westlichen Seite daran vorbeifahren könnten. Das sei kein Problem, versicherten sie mir.
Wenn alle Ovahimbas auf Mount Ondau wären, warum waren die beiden Männer nicht auch dort? fragte ich sie. Sie antworteten, dass sie keine Ovahimbas, sonder Ovambo seien. Das überraschte mich. In den letzten Jahren haben sich die Ovambo immer weiter ins Kaokoland ausgebreitet, aber dass sie bis ins Marienflusstal kommen würden, hatte ich nicht erwartet.
Wir fuhren weiter. Noch immer hatten wir keine Mittagspause gemacht, weil wir keinen Schatten gefunden hatten. Endlich sahen wir einen einzelnen Baum mit genug Schatten, so dass wir zu dritt drunter sitzen konnten, und hielten an. Von unserem Schattenplatz konnten wir weit nach Süden schauen.




Wir fuhren dann weiter, an Mount Ondau entlang. Der Berg hatte einige überraschende Ecken, z.B. ein schwarzer Hügel, der sich aus dem Granitgestein erhob. Dieser schwarze Berg ist so mysteriös, dass wenn ich die A.G.M. der Ovahimba suchen müsste, dort anfangen würde.


Dann lag der Berg hinter uns und der Otjindjangi schlängelte an uns vorbei. Das Flussbett war trocken, aber ab und zu sahen wir Palmen, die eine Quelle kennzeichneten.
Hin und wieder kamen wir bei einem Ovahimbadorf vorbei. Diese Dörfer waren verlassen, denn die Ovahimba sind Nomaden und ziehen mit ihrem Vieh der Weide hinterher – und Weide gab es hier wirklich nicht mehr.

Camp Syncro

Nachmittags erreichten wir Camp Syncro. Wir hatten den Kunene wieder erreicht. Dieser Campingplatz liegt in der nordöstlichen Ecke des Marienflusstals am Fuß von mächtigen Bergen. Wir wollten wieder zwei Nächte bleiben und am nächsten Tag einen Ruhetag einlegen.
Die Camp Site gefiel uns. Wir waren die einzigen Gäste. Große Bäume spendeten uns Schatten. Die Sanitäranlagen waren sauber und abends gab es warmes Wasser zum Duschen. Eine große gemauerte Feuerstelle war vorhanden und es gab einen Wasserhahn. Allerdings, so sagte uns die Dame, die den Camp betreute, sollten wir lieber nicht das Wasser trinken. Es käme nicht aus einem Bohrloch, sondern wurde direkt aus dem Fluss gepumpt. Zum Waschen und Duschen sei das Wasser aber in Ordnung.



Wir bekamen Besuch von einem Hund. Es war ein Mädchen, und da wir es nicht wie sonst „Bozo“ taufen konnten, nannten wir sie „Bozoline“. Am nächsten Tag fragte ich die Angestellten von der Camp Site, wie denn nun der Hund hieße. Sie wussten es auch nicht. Bozoline gehörte nicht zu Camp Syncro, sondern kam immer, wenn Touristen da waren, aus dem nächsten Dorf zu Besuch. Ah! Ein schlauer Hund! Sie war sehr freundlich, genoss es, von uns gestreichelt zu werden, und bekam natürlich auch Futter als Penny ihrs bekam. Nur einmal kam Penny ihr zu nahe und es kam zu einer kleinen Rauferei. Unsere arme Penny, die ja inzwischen schwer dement ist, wusste gar nicht, wie ihr geschah. Dann aber kehrte wieder Frieden ein. Nachts schlief Bozoline auch bei uns im Camp.
Wir hätten die Camp-Managerin auch bitten können, den Hund zu entfernen. Aber wir haben schon mal erlebt, dass solche Wünsche mit Schlägen erfüllt werden, die wiederum zu bitterlichen Gejaule von Seiten des Hundes führen. Wir mochten Bozoline zu sehr und wollten ihr das ersparen. Es ging dann auch gut mit den beiden Hunden.

Nachmittags ging ich flussabwärts spazieren. Überall gab es Ovahimbadörfer mit kleinen Feldern von Mais, Hirse und Kürbissen. Schließlich erreichte ich ein menschenleeres kleines Tal direkt am Fluss. Am Ufer gab es eine Felsbank, auf der ich sitzen konnte. Ich holte mir meine Wasserflasche aus dem Rucksack und schaute nach Angola rüber. Eine Frau hatte Wäsche gewaschen und sie zum Trocknen auf den Steinen ausgelegt. Sie war gerade dabei alles zusammenzufalten. Sie sah mich und winkte mir zu. Ich winkte zurück.

Die Gegend war hier, im Gegensatz zur Kunene River Lodge und Epupa, sehr rau. Auch dort hatte es Hügel an beiden Seiten des Ufers gegeben, aber hier waren es hohe Berge. Da wir nun weiter in den Westen vorgedrungen waren, hatten wir eine Wüstenlandschaft erreicht. Nur am Ufer des Flusses gab es Bäume und blühende Sträucher und nur dort konnten die Ovahimba ein wenig Gemüse und Getreide anbauen. Auch wenn die Landschaft abweisend wirkte, fand ich sie sehr schön.

Als ich ins Camp zurückkam, hatte Chris schon alle Zutaten für Gin & Tonic herausgesucht. Damit wollten wir nicht nur den Sundowner genießen, sondern etwas zur Vorbeugung gegen Malaria einnehmen. Er fragte, wie ich meinen Gin & Tonic am liebsten mochte. Er hatte ungefähr einen Finger breit Gin ins Glas gegossen. Ich sagte, dass ich eine erwachsene Frau sei. Er goss das Glas halb voll und schüttete Tonic obendrauf. Das war dann doch sehr stark. Wir nahmen uns vor, in Zukunft die üblichen zwei Finger breit Gin ins Glas zu tun.


Wir ließen uns Zeit mit der Zubereitung des Abendessens. Es gab Boerewors mit Foliengemüse. Nebenbei backten wir noch ein Brot in unserem kleinen Backofen.
Erkundung des Hinterlandes
Am nächsten Tag hatten wir Ruhetag und schliefen ein wenig länger. Dann gab es Spiegelei mit Speck und Toast zum Frühstück. Ich brauchte eine Stärkung, wollte ich doch am Vormittag eine längere Wanderung unternehmen.


Nach dem Abwasch legte Chris sich in seine Hängematte und Anita las in ihrem Buch weiter. Ich wollte das Gebiet östlich von Camp Syncro erkunden und packte eine Flasche Wasser und mein Vogelbestimmungsbuch in den Rucksack, hängte mir Fernglas und Fotoapparat um und machte mich auf dem Weg.


Ich kam nicht weit. Einen halben Kilometer vom Camp entfernt fielen die senkrechten Felsen eines Hügels in den Kunene. Ich musste den Hügel umgehen. Auf der anderen Seite fand ich eine Zweispur-Pad zum Fluss runter und folgte ihr. Immer weiter und weiter ging es und dann war der Weg zu Ende. Ich hatte die Berge erreicht. Der Kunene floss durch einen schmalen Canyon mit steilen Wänden. Um weiterzukommen, müsste ich richtig hohe Berge hochkraxeln.

Aber ich war schon zwei Stunden gewandert und musste sowieso umkehren. Ich ging eine Weile am Ufer des Kunene entlang. Dann stieß ich wieder auf die Zweispur-Pad und ging sie entlang, um zu sehen, wohin sie geht. Aber es war Mittag, die Sonne brannte vom Himmel herab und mein Wasser war alle. Ein Weg in Richtung Camp Syncro bog ab und ich ging zurück zur Camp Site.
Orange Dünen
Am nächsten Tag packten wir wieder alles ein. Ein langer Weg lag vor uns.
Zuerst fuhren wir die Pad hoch, die ich am vorigen Tag zur Camp Site hinuntergegangen war. Dort gab es viele interessante Wege in den Hügeln, aber schließlich mussten wir weiter.

Diesmal fuhren wir östlich von Mount Ondau entlang und entdeckten das Marienflusstal, dass wir schon auf Fotos gesehen hatten. Wir fuhren über weite Ebenen mit orangenem Sand. Wenn ich früher Fotos von diesem Teil des Marienflusstals gesehen hatte, hatte ich immer gedacht: „Da hat aber jemand die Sättigung vom Orange hochgedreht.“ Nun sah ich, dass der Sand tatsächlich diese kräftige Farbe hatte.
Die Landschaft war sehr weit, und wir hatten das Gefühl, dass wir hunderte Kilometer weit sehen konnten. Außerdem war es sehr still. Es war diese Kombination von Weite und Stille, die das Marienflusstal zu einem ganz besonderen Ort machten.


Chris entdeckte mitten auf der Ebene ein Grab. Auf dem ersten Blick sah es wie ein typisch europäisches Grab aus. Es entpuppte sich aber als ein „modernes“ Ovahimbagrab. So gab es keinerlei Anzeichen eines christlichen Kreuzes, sondern wurde ein Rind dargestellt. Im kleinen Mopanebaum neben dem Grab hingen Rinderschädel.



Der Himmel, vor allem nach Norden, in Richtung Angola, war dunstig. Es war September und im September brennen die Angolaner ihre Felder ab. Wenn dann die Regenzeit kommt, wächst alles sehr viel schneller. Der Rauch aus Angola wird vom Wind hunderte von Kilometer weit getrieben.


Hin und wieder ging es an Ovahimbadörfern mit Ziegen- oder Rinderherden vorbei. Wir fragten uns, wo die Tiere noch etwas zu fressen fanden. Die meisten Dörfer waren aber verlassen. Das wichtigste Konstrukt eines Ovahimbadorfes war ein Viehkraal. Meistens wurde er von dornigen Ästen gebaut. Dort wurden die Ziegen oder Rinder nachts eingesperrt und so vor Raubkatzen oder Hyänen geschützt. Dann gab es immer noch kleine, meist runde Hütten aus Zweigen. Sie boten nicht viel Schutz vor Regen, aber es regnet in diesem Gebiet auch sehr selten.

Die Weite und die Farben waren wunderschön. Wir verstehen, warum der Ort so einzigartig ist. Für Chris war dies der Höhepunkt der Reise. Ich hatte später noch ein sehr eindrückliches Erlebnis, aber von der Landschaft her war auch für mich das Marienflusstal einer der schönsten Orte.
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