Elefantenbegegnungen
Eigentlich hatten wir vorgehabt, die nächsten zwei Tage die Ruspoort- und Soutrivier-Trails zu befahren, aber wir kannten diese Wege nicht und wussten nicht, wie kompliziert sie sind. Vielleicht würde die Luftfederung des Discovery dort wieder überhitzen? Eine Bergung des Autos durch einen Abschleppdienst könnte schwierig werden. Deshalb entschieden wir uns, nur noch auf C- und D-Straßen zu fahren.
Grootberg Pass
Am nächsten Morgen fuhren wir dann die C40 nach Westen zum Grootberg-Pass. Das Kühlsystem unseres !Nwassa überhitzte von der Auffahrt und wir mussten oben eine Pause machen. Wir hatten allerdings eine schöne Landschaft, die wir bewundern konnten.
Kurz vor Palmwag bogen wir auf die C43 nach Süden ab. Gleich hinter der Kreuzung sahen wir ein Schild: Palm Camp Site. Es ist eine sehr schöne Camp Site unter Makalanipalmen an Quellen im Uniab. Ein junger Mann kam aus dem nahen Dorf angelaufen. Wir sagten, dass wir dort nicht übernachten wollten – schließlich war es noch früher Vormittag – aber, dass wir uns die Camp Site für einen späteren Besuch merken würden.
Dann ging es weiter auf der C43 nach Süden und später auf die C39 nach Osten. Wieder fuhren wir über einen Pass mit den fürs Damaraland typischen Hügeln und Felsen.
Aba-Huab Community Campsite
Da wir nicht den ursprünglich geplanten Weg folgten, wussten wir nicht, wo wir übernachten könnten. Wir würden allerdings in der Nähe von Twyfelfontein vorbeifahren, und seitdem Twyfelfontein Weltkulturerbe geworden war, gab es dort viele Lodges und Campsites. Anderseits mussten viele mit Covid schließen. Eine Camp Site, die Anita und mir in besonderer Erinnerung geblieben ist, ist die Aba-Huab Community Camp Site. Dort hatten wir von vielen Jahren unsere Flitterwochen verbracht. Aber als wir vor einem Jahr dort vorbeigefahren waren, war sie geschlossen. Wir wollten es trotzdem versuchen.
Die Camp Site hatte vor kurzem wieder geöffnet und wir wurden freundlich empfangen. Der Preis von 160 N$ pro Person stimmte und von allen Camp Sites, die wir auf der ganzen Tour besucht hatten, hatte sie die beste Dusche.
Als ich am Abend unser Bundutop-Dachzelt öffnen wollte, ging gar nichts mehr. Erst dachte ich, dass schon wieder die Sicherung durchgebrannt war und ersetzte sie. Aber, so sehr ich auch auf den Knopf für „Nach Oben“ drückte, das Dach wollte nicht hochfahren.
Die elektrische Winde des Bundutop ist zwar eine großartige Sache, aber wenn sie nicht funktioniert, hat man ein Problem. Unser ganzes Bettzeug war im Zelt. Wie würden wir schlafen können? Elektronik und dumme Bedienung plus Wüstensand und rappelige Straßen geht nie gut. Bei allem Komfort – die elektrische Winde ist auch der große Schwachpunkt des Dachzelts.
Im Zelt ist ein kleiner Kasten, über den die ganze Elektronik läuft. Wir gingen davon aus, dass in diesem Kasten irgendwas durchgebrannt war. Schließlich hatte es, zwei Wochen vorher, als das ganze Unglück passierte, nach verbranntem Kabel gerochen. Nun war es wohl ganz durchgeschmort.
Aber die Konstrukteure des Zelts wussten, dass es Probleme geben könnte, und hatten eine Überbrückung eingebaut. Die hatte ich noch nie benutzen müssen und ich lud mir erstmal das Manual aus dem Internet runter. An der Seite des Zelts sind zwei Metallknöpfe. Wenn man sie mit einem Überbrückungskabel an eine Batterie verbindet, kann man das Zelt hochfahren, wenn die Winde noch funktioniert. Man muss den oberen Knopf mit dem positiven Pol und den unteren Knopf mit dem negativen Pol der Batterie verbinden. Wenn man dann auf den „Nach Oben“-Knopf drückt geht das Zelt hoch. Zum Runterfahren müsste man den oberen Knopf mit dem negativen Pol und den unteren mit dem positiven Pol verbinden und auf den „Nach Unten“-Knopf drücken. So verstand ich jedenfalls das Manual. Chris schaute auch ins Manual und stimmte mir zu. Das Manual sagte auch deutlich, dass wenn man dieses Verfahren benutzt, die Winde nicht automatisch anhalten würde. Man müsse aufpassen, dass man das Zelt nicht zu weit hochfährt.
Chris hatte eine Starthilfe für sein Auto dabei. Rotes Kabel nach oben, schwarzes Kabel nach unten und auf den Knopf drücken. Das Zelt ging hoch! Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich würde in meinem Bett schlafen können.
Als es hoch genug war, hörte ich auf den Knopf zu drücken. Aber es fuhr weiter hoch! Schnell entfernten wir die Starthilfe. Beim Studium des Schaltplans im Manual stellten wir fest, dass die Knöpfe bei der Überbrückung gar keine Rolle spielten. Warum sie in der Anleitung überhaupt vorkamen, wussten wir nicht. Jedenfalls war das Zelt viel zu hoch. Das Segel war sehr straff gespannt und wir würden die Reißverschlüsse der Türen nicht zubekommen.
Aber wir könnten es ja wieder ein bisschen runterfahren, dachten wir. Also Negativ nach oben und Positiv nach unten. Nichts ging mehr.
Inzwischen war es dunkel geworden und Anita war mit dem Abendessen fertig. Wir entschieden, das Zelt erstmal so zu lassen und am nächsten Morgen das Problem zu lösen. Ich wusste, dass wenn wir das Zelt mit der Winde nicht mehr runterfahren konnten, wir immer noch die Winde lösen könnten. Aber das wollten wir an dem Abend nicht mehr ausprobieren.
Wir hatten eine sehr unruhige Nacht. Da wir die Fenster nicht schließen konnten, wurden wir von Moskitos geplagt. Außerdem machte ich mir die ganze Nacht über darüber Gedanken, wie wir das Zelt für die Weiterfahrt schließen könnten.
Am nächsten Morgen machten wir uns an die Lösung des Problems. Vorsichtshalber holten wir unser Bettzeug aus dem Zelt.
Als erstes versuchten wir es nochmal mit Chris‘ Starthilfe. Nichts ging. Vielleicht war die Batterie der Starthilfe leer? Wir hatten genug geladene Batterien dabei und holten unser Überbrückungskabel hervor. Es ging noch immer nicht. Wir mussten die Winde lösen.
Zuerst machten wir uns Gedanken darüber, was dann passieren würde. Würde der Deckel des Zeltes runterknallen? Um das zu verhindern, legte ich mich auf den Rücken ins Zelt und hielt das Dach mit den Beinen hoch. Chris versuchte derweil die Winde zu lösen. Die Instruktionen waren einfach: an der Seite der Winde war ein Knopf, den man ziehen und dann drehen musste. Er versuchte es. Es ging nicht. Das Zelt war zu sehr gespannt.
Wir überlegten hin und her und machten einen neuen Plan. Er würde die Winde vom Dach abschrauben. So würde sich die Spannung lösen und vielleicht funktionierte es dann? Während ich das Dach mit den Beinen hochhielt, machte er sich an die Arbeit. Zum Glück waren es nur zwei Schrauben. Schnell hatte er sie herausgedreht. Der Plan ging auf. Sobald die Winde nicht mehr am Dach befestigt war, kam dieses herunter. Ich hielt es hoch und er konnte die Winde lösen. Das Dach war schwer, wie ich bald feststellte. Meine Beine mussten 40 Kilogramm stemmen, während er die Winde wieder einbaute und feststellte. Aber wir hatten unser Ziel erreicht. Die Spannung war aus dem Zelt genommen und wir könnten das Zelt runterfahren, indem wir die Winde lösten.
Aber vielleicht funktionierte es ja auch mit der Überbrückung? Davon hing ab, ob wir unsere Tour fortsetzen, oder aufgeben müssten. Wir krabbelten aus dem Zelt und legten wieder unser Überbrückungskabel an die beiden Metallknöpfe. Und ja, es ging. Das Zelt ließ sich hoch und runterfahren. Wir mussten, laut Manual, nur aufpassen, dass wir es nicht zu sehr runterfuhren, denn im geschlossenen Zustand könnte man die Winde nicht lösen. Zwei Zentimeter vor ganz unten mussten wir aufhören und dann das Zelt per Hand runterdrücken und die Haken anlegen.
Wir waren sehr froh, dass wir unsere Tour fortfahren konnten. Es waren zwar nur noch zwei Übernachtungen geplant, aber die wollten wir uns nicht entgehen lassen. Schnell packten wir unsere Sachen und fuhren nach Khorixas. Die nächsten zwei Nächte wollten wir bei der Brandberg White Lady Lodge übernachten.
Wir kauften noch ein paar Sachen in Khorixas ein. Außerdem wollten Anita und ich noch unsere Gasflasche füllen. Aber es war Samstag, und der einzige Gashandel im Ort hatte schon geschlossen. Zum Glück hatte Chris noch ein bisschen Gas in seiner Flasche.
Elefanten im Ugab
Von Khorixas fuhren wir nach Süden und über Sorris Sorris zum Ugab. Der Plan war, durch das Rivier bis zur Brandberg White Lady Lodge zu fahren. Als wir den Ugab erreichten, spazierte gerade eine große Elefantenfamilie über die Straße. Schnell ließen wir Luft aus unseren Reifen, um durch Sand und Matsch fahren zu können und folgten den Tieren.
Wir waren schon oft durch diesen Teil des Ugab gefahren. Jedes Mal hatte es tiefen Sand gegeben, aber es war immer gut befahrbar gewesen. In diesem Jahr gab es aber noch viel Wasser im Rivier. Das erinnerte uns an die Fahrten durch den Hoarusib und die Khowarib-Schlucht. Bald hatten wir die Elefanten eingeholt.
Es war eine große Familie mit mehreren erwachsenen Tieren und einem Baby. Wegen dem Baby würden wir besonders vorsichtig sein müssen, denn nicht nur die Mutter, sondern auch alle Onkel und Tanten passten auf, dass dem Kleinen nichts passieren würde.
Da wir auf früheren Touren im Ugab schon Elefanten begegnet waren, kannten wir ihre Art der Kommunikation. Das Wichtigste war, dass wir den Tieren den größten Respekt entgegenbrachten. Das ist nicht schwer, denn sie sind groß, sehr groß. Es sind auch sehr intelligente Tiere, die sich mit Touristen auskennen. Wenn sie merken, dass sie respektiert werden, lassen sie die Nähe von Menschen zu. Dann mussten wir auf ihr Verhalten achten. Wenn sie mit wedelnden Ohren auf einen zukommen, vielleicht noch trompeten, und sich dann groß aufbauen und mit den Vorderfüßen einem Sand zuschippen, heißt das: „Stopp! Bis hierher und nicht weiter.“ Dann sollte man stehenbleiben und den Motor abstellen und ganz ruhig bleiben. Aus Erfahrung wussten wir auch, dass wir die Seitenfenster mindestens bis zur Hälfte hochfahren sollten, bevor wir die Zündung des Wagens ausmachen, sonst hätten wir vielleicht einen sabbernden Elefantenrüssel im Auto.
Wir fuhren weiter und dann gab uns ein großer Bulle zu verstehen, dass wir nahe genug waren. Wir blieben stehen und machten die Zündung aus.
Es war Samstag, also Badetag. Während die einen Wasser tranken oder Binsen fraßen, gingen drei große Tiere mit dem Baby zu einem Schlammloch an unserer linken Seite. Das Baby rutschte aus und drei große Elefantenrüssel halfen es wieder auf seine Beine. Dabei verlor auch eins der großen Tiere die Balance und musste aus dem Schlamm herauskrabbeln. Dann ging die ganze Gruppe auf unsere rechte Seite zu einem anderen Wasserloch. Das Kleine verlor den Anschluss und rannte ganz süß hinter den anderen her. Im rechten Wasserloch war mehr Wasser als Schlamm und das Kleine musste baden und wurde von der Mutter und Tanten abgespritzt. Dann wurde es mit trockenem Staub aus einer Sandbank gepudert.
Chris meldete sehr leise über Funk, dass gerade weitere Tiere an ihm vorbeigekommen wären und auf dem Weg zu uns waren. Und ja, da kamen sie. Ein Elefant lief 50 cm an Anita vorbei, schaute kurz ins Auto, der Rüssel zuckte in Richtung Seitenfenster, aber da dieses halb zu war, konnte er nicht mit seinem Rüssel ins Auto greifen.
Ein Elefant nach dem anderen badete. Ganz zum Schluss kam plötzlich ein riesiges Tier, viel größer als die anderen, aus dem Gebüsch. Es war ein Bulle. Er trug einen Sender am Hals. Gemächlich ging er an unserem Auto vorbei zur Elefantenbadewanne und ließ sich viel Zeit mit Suhlen, Baden und Pudern. Dann waren alle fertig und die Familie ging weiter flussabwärts.
Wir fuhren der Herde noch ein paar hundert Meter hinterher. Dann wurde das Rivier sehr schlammig. Wir wollten uns nicht festfahren und kehrten um. Die Elefanten, die wir überholt hatten, kamen uns nun entgegen. Wieder mussten wir anhalten, um die Herde vorbeizulassen.
Zurück auf der Straße bei Sorris Sorris mussten wir erstmal unsere Reifen wieder aufpumpen und dann ging es über die guten Pads weiter zur Brandberg White Lady Lodge.
Bevor wir uns anmeldeten, prüften wir erstmal, ob wir unser Dachzelt hochfahren konnten. Wäre es nicht gegangen, hätten wir ein Chalet genommen. Aber das Zelt ging mit der Überbrückungskabelmethode auf. Chris fuhr zur Rezeption und meldete uns für zwei Übernachtungen an.
Die letzten fünf Minuten meines Lebens
Unser zweitletzter Tag der Tour war angebrochen. Am nächsten Tag würden wir zurück zur Farm fahren. An diesem Tag wollten wir nochmal einen Ruhetag machen. Unsere Camp Site war dafür hervorragend geeignet. Zwischen den Salvadorabüschen war eine Art Höhle, die den ganzen Tag über Schatten spenden würde. Chris hatte schon seine Hängematte aufgespannt. Anita wollte lesen. Ich wollte eine lange Wanderung machen.
Anita hatte mir erzählt, dass Chris sie gefragt hat, ob sie nicht Angst hätte, wenn ich stundenlang allein durch die Wildnis laufe. Sie hatte geantwortet, dass ich weiß, was ich tue und sie mich nicht anketten könnte.
Es existiert ein Foto von mir als noch nicht mal Einjährige bei einem Picknick irgendwo im Busch. Wir waren zwar Stadtkinder, aber wir waren fast jedes Wochenende draußen im Veld, sei es durch Spaziergänge, mehrtägige Wanderungen, Ausflüge oder Picknicks. An langen Wochenenden war meine Familie immer in die Wildnis gefahren. Wir haben, ohne Zelte, einfach so unter den Sternen geschlafen. Meine Eltern haben uns Kindern Liebe und Respekt vor der Natur beigebracht. Wir haben uns Schlangen, Skorpione und Spinnen angeschaut, aber immer mit Abstand. Ohne das Wort „Ökologie“ zu benutzen, lernten wir, dass jedes Lebewesen – ja auch Fliegen und Moskitos – eine Daseinsberechtigung haben, dass sie wie wir Schmerzen empfinden können und dass man sie – außer Fliegen und Moskitos – nicht verletzt oder tötet. Uns wurde beigebracht, Tiere und Pflanzen zu identifizieren und Spuren zu lesen. Wir wussten, dass wir keine Angst haben müssen, wenn wir vorsichtig sind. Später war ich auch bei den Pfadfindern und auch dort wurden uns die Grundlagen des Überlebens in der Natur beigebracht. Kurzum: ich weiß über die Gefahren in der Wildnis und weiß, wie ich damit umgehen muss. Ehrlich gesagt, habe ich bei meinen Spaziergängen mehr Angst davor auszurutschen und mir einen Fuß zu verstauchen oder ein Bein zu brechen.
Ich gehe spazieren, weil ich so die Natur nochmal anders er-lebe als aus einem sicheren Auto. Ich spüre die Sonne auf meiner Haut, höre den Wind, der durch die Bäume bläst oder das Zwitschern der Vögel. Ich rieche das trockene Gras oder den feuchten Matsch und vor allem sehe ich mehr. Wenn ich nicht spazieren gehen könnte, würde mir etwas fehlen.
Ich wollte also, am zweitletzten Tag unserer Tour, wieder wandern gehen. Da ich wusste, dass die Elefanten flussaufwärts waren, ging ich in die andere Richtung, denn ich wollte ihnen nicht ungeschützt begegnen. Ein paar Kilometer westwärts geht das Flussbett des Ugab durch enge Felsen. Das Grundwasser kann nicht mehr unterirdisch fließen und kommt an die Oberfläche. Ein Sumpf ist entstanden und am offenen Wasser würde ich viele Vögel beobachten können. Also packte ich meinen Rucksack und lief los.
Ich ging meistens am nördlichen Ufer des Flussbetts entlang. Außer die üblichen Vögel sah ich keine Tiere. Aber es gab einige Pflanzen, die blühten. Ich staunte über die großen Anabäume.
Nach zwei Stunden erreichte ich die Sümpfe, die dort noch recht trocken waren. Ein Auto mit Henties Bayer Nummernschild kam mir entgegen. Als es mich erreichte, hielt es an und der Beifahrer drehte seine Scheibe runter und starrte mich, ohne ein Wort zu sagen, an.
„Guten Morgen!“ sagte ich auf Afrikaans (es war schließlich ein Auto aus Henties Bay). „Kann ich helfen?“
„Was machst du hier?“ fragte der Mann. Es war, als ob er ein Gespenst sehe, etwas, was seinen Verstand überstieg. Durchs Fenster konnte ich nur seinen Oberkörper sehen. Er war sehr übergewichtig und ging wohl keinen Schritt zu viel. Eine Aktivität wie Wandern war ihm fremd.
„Ich wandere“, sagte ich. Er starrte mich verständnislos an.
„Woher kommst du?“ fragte er schließlich.
„Von der Lodge.“
„So weit! Du bist so weit gelaufen?“
„Ja.“
Der Fahrer des Autos fand unseren Dialog, wo zwei Welten aufeinanderprallten, witzig, und lachte.
„Wie kommst du zurück zur Lodge?“ fragte der Beifahrer.
„Ich wandere.“
Er brauchte ein paar Sekunden, um das Gesagte zu verarbeiten.
„Hast du keine Angst vor den Elefanten?“
O ja, denen wollte ich so schutzlos auf keinen Fall begegnen! Natürlich hatte ich einen Plan, was ich tun würde, wenn mir wider Erwarten doch Elefanten begegnen würden. Ich würde die Felsen am Flussufer hochklettern und ich wusste, dass ich auch die steilsten Passagen dank Adrenalin überwinden würde. Aber darauf ging ich nicht ein. Ich sagte:
„Die Elefanten sind auf der anderen Seite der Lodge.“
„Ach ja?“ fragte der Fahrer. „Hast du sie gesehen?“
Ich erzählte von unserer Elefantenbegegnung am Tag zuvor. Sie hatten offensichtlich weiter flussabwärts keine Dickhäuter gesehen, denn sie waren froh über meine Information und fuhren weiter.
Auf einem Felsen lag ein Pavianschädel. Es war, als ob er zu mir spräche:
„Was wir sind, werdet ihr sein. Was ihr seid, waren wir einst.“
Ich weiß nicht, vorher dieser Gedanke kam, aber er führte dazu, dass ich über Elefanten nachdachte. Denken sie auch so, wenn sie auf einem Elefantenfriedhof mit ihrem Rüssel über die Knochen ihrer Vorfahren streichen? Sind diese intelligenten Tiere vielleicht die einzigen Lebewesen außer uns, die sich ihrer Sterblichkeit bewusst sind?
Ich fand eine schattige Stelle an einem Felsen ein paar Meter von einem Tümpel entfernt und machte es mir mit Fernglas bequem.
Hunderte von Kaptäubchen kamen zum Wasser. Die Tamarisken auf der anderen Seite waren voller Blutschnabelweber. Schmiedekiebitze und Dreibandregenpfeifer wateten im Wasser. Über mir kreisten zwei Augurbussarde.
Ein paar Meter neben mir klebte ein Gecko, den ich später als Boultons Namib-Tagesgecko identifizieren würde, an dem Felsen und fing Fliegen. Es roch nach nassem Schlamm, Tamarisken und Salvadorabüschen. Auch wenn die Kaptäubchen wegen meiner Anwesenheit ein wenig aufgeregt waren, war es sehr friedlich.
So blieb ich eine Stunde sitzen und sog die Ruhe ein. Einmal schaute ich auf WhatsApp, um Anita mitzuteilen, wo ich war, aber an der Stelle war kein Empfang.
Dann war die Sonne so weit weitergezogen, dass der Felsen keinen Schatten mehr bot. Es wurde heiß und ich musste sowieso wieder zurück zum Camp.
Eine halbe Stunde später hatte ich Empfang und schickte Anita eine Nachricht, dass ich zurückkäme. Dann kam eine ganze Reihe von WhatsApp von ihr: die Elefanten waren auf der Camp Site gewesen.
Anita hatte in der schattigen Höhle unter den Salvadorabüschen gesessen, als sie plötzlich ein Knacken und Zischen von der Nachbarcampsite gehört hatte. Sie war aufgestanden, um nachzuschauen und stand plötzlich vor einem großen Elefanten, der den Wasserhahn abgerissen hatte, um zu trinken. Trotz aller Intelligenz und Geschick mit dem Rüssel haben sie noch nicht gelernt, dass man den Wasserhahn auch aufdrehen kann. Sie rissen ihn einfach ab, wenn sie ans Wasser wollten. Dabei war das auch gar nicht notwendig, denn ein paar Meter weiter gab es eine Elefantentränke. Der Rest der Herde stand dahinter. Einige durchsuchten die Mülleimer nach Essbarem, waren aber nicht erfolgreich. Das Baby lief fröhlich zwischen den großen Tieren hin und her.
Anita erschrak als sie plötzlich so nah vor den Elefanten stand und stellte sich hinter einen Anabaum. Als sie mir später die Geschichte erzählte, schaute ich mir den Baum an, dessen Stamm einen Durchmesser von etwa 30 cm hatte. „Hast du gedacht, dass der Elefant dich hinter dem Baum nicht sehen würde?“ „Ich habe gehofft, dass der Elefant denken würde, dass der Baum da unten ein bisschen dicker ist.“
Die Elefanten zogen dann weiter und Chris, der sich in seiner Hängematte klein gemacht hatte, und Anita reparierten den Wasserhahn notdürftig und schickten der Lodge eine Botschaft per Facebook. Wenig später kam jemand von Maintenance und sah nach dem Rechten.
Zurück zu mir: Ich las Anitas WhatsApps. Meine erste Frage war: In welche Richtung sind die Elefanten gegangen. Flussabwärts. Also zu mir.
Oh-oh! Das letzte, was ich wollte, war, den Elefanten zu Fuß auf freier Wildbahn zu begegnen. Ich schrieb zurück, dass ich die Tiere weitläufig umgehen würde.
Weitläufig umgehen bedeutete, dass ich aus dem Flussbett rausmusste. Nur auf welche Seite? Nach links, also auf die nördliche Seite? Nein. Da war das Salvadora-Dickicht sehr dicht. Wenn ich da hineinging, könnte es sein, dass ich einen Elefanten erst sehen würde, wenn er zwei Meter vor mir stand. Auf der rechten Seite, also auf dem südlichen Ufer war es offener und übersichtlicher. Also ging ich nach rechts.
Als ich an ein paar Tamarisken vorbei kam, sah ich die ganze Herde etwa 200 Meter von mir entfernt auf mich zukommen. Bleiben konnte ich auf keinen Fall, denn ich war direkt in ihrem Weg. Zurück aufs linke Ufer ging auch nicht, denn garantiert waren auch dort ein paar Tiere. Also ging ich schnellen Schrittes über das offene Flussbett. Ich nahm mich zusammen und sagte mir: „Bloß nicht rennen. Bloß nicht rennen.“ Ja, hin und wieder hört man von Menschen, die von Elefanten totgetrampelt werden, weil sie panisch werden und rennen oder schreien. „Bloß nicht rennen! Bloß nicht rennen!“
Auf dem südlichen Ufer sah ich einen großen Anabaum. Davor lag ein dicker Treibholzstamm. Das würde mir ein bisschen Schutz geben und das war mein Ziel.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sich ein erwachsener Elefant aus der Gruppe löste und auf mich zukam. „Bloß nicht rennen! Bloß nicht rennen!“ Er war etwa 20 Meter von mir entfernt, als ich den Baum erreichte. Der Elefant kam weiter auf mich zu. Ich stand mit dem Rücken zum Anabaum, der große Baumstamm schützend vor mir, und versuchte mich als Elefantenflüsterin: „Ruhig, mein Großer! Ich will nichts von dir. Geh wieder zurück.“ Es brachte nichts. Der Elefant kam näher und näher.
Nein, ich habe nicht um mein Leben gebettelt, auch wenn mir aufging, dass ich vielleicht gerade die letzten fünf Minuten meines Lebens durchlebte. Der Elefant war so groß und mir wurde die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers bewusst. Aber irgendwie glaubte ich auch nicht, dass ich sterben würde. Das Tier war nicht aggressiv, er wedelte nicht mit den Ohren. Seine Augen waren sehr wachsam und vielleicht auch neugierig.
Als er zehn Meter von mir entfernt war, und nicht stehenblieb, entschied ich mich hinter dem Baumstamm niederzukauern. Die Bewegung überraschte das Tier. Er blieb stehen, schnaubte und wirbelte mit den Vorderfüßen Staub in meine Richtung auf. Ich verstand die Botschaft: „Bleib wo du bist und rühr dich nicht vom Fleck, bis wir weg sind.“ Dann drehte er ab und ging zu den anderen zurück.
Die Herde ging an der Stelle vorbei, an der ich gerade eben noch gestanden hatte. Alle erwachsenen Tiere schauten wachsam zu mir herüber. Nur das Baby lief, fröhlich den Rüssel hin und her schwenkend, zwischen den großen Tieren mit.
Dann war die Herde verschwunden. Ich atmete tief ein und aus und schickte Anita per WhatsApp Entwarnung.
Ich ging zum südlichen Ufer und dann wieder Richtung Camp Site. Und plötzlich sah ich noch einen Elefanten. Es war der große Bulle mit dem Sender am Hals. Er lief genau auf meiner weiträumigen Umgehungspad. Aber er war noch weit entfernt. Ich stellte mich hinter einer Tamariske und sah, wie er etwa 100 Meter an mir vorbei ging. Wenn er mich gesehen hatte, würdigte er mir keines Blickes.
Ich machte erstmal eine Pause und trank ein bisschen Wasser. Kein Elefant war mehr zu sehen. Ich konnte zur Camp Site zurück gehen.
Diese Begegnung mit dem Elefanten, der auf mich zukam und nicht stehenblieb, die langen Sekunden, in denen ich dachte, dass sie die letzten meines Lebens waren, waren mein eindrücklichstes Erlebnis der ganzen Tour. Ich werde nie die wachsamen Augen des Elefanten und seine großen Füße, mit denen er Staub in meine Richtung schippte, vergessen.
Ich ging zurück zum Camp und Anita und ich tauschten aufgeregt unsere Elefantenerlebnisse aus. Abends, zum Abschied unserer Tour, machten wir ein Feuer und brieten Boerewors. Dazu gab es Foliengemüse. Als Nachtisch tranken wir einen Old Brown oder zwei. Es war sehr ruhig.
Nach Hause
Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns von Chris, der noch ein paar Tage nach Swakopmund wollte und fuhren zurück zur Farm. Anita und ich wollten nicht, dass die Reise so schnell aufhört und so machten wir einen Umweg durch Okombahe und fuhren durch den Erongo nach Omaruru. Dann waren wir zuhause.
Die Hektik des Alltags holte uns bald wieder ein. Es musste geputzt und gewaschen werden. Fotos wurden sortiert und bearbeitet. Aber die Erinnerungen sind da, an die weiten Ebenen, die Berge, die Felsen, die Riviere, den orangen Sand des Marienflusstals und das gelbe Gras der kleinen Serengeti, die Elefanten, Giraffen und Löwen. Es waren unglaublich schöne Tage gewesen, die unser Leben reicher gemacht haben.
Bibliografie
[1] Joubert, Jan H. (2003): 4×4 Routes in Namibia. 8th ed.: Greensport.
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