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Die Maschine brummt, der Ingenieur sieht 10 Jahre jünger und sehr glücklich aus und der Lotse frühstückt mit uns. Er ist der erste von drei Lotsen bis in die Nordsee. Er wird uns aus dem Hamburger Hafen bringen.
Alle Mann an Deck! Es geht los.

Um 8:00 Uhr sind die Schlepper da. Kurz darauf werden die Leinen losgemacht und die Schlepper drehen das Schiff um 180 Grad. Langsam fahren wir aus dem Hafenbecken, vorbei an der Cosco Capricorn, wo die Kräne immer noch eifrig Container umpacken, vorbei an dem kleinen Leuchtfeuer vom Ellerholzhafen, vorbei an den Docks von Blohm und Voss bis zur Elbe. Die Schlepper werden losgemacht und los geht’s, den Fluss hinunter.



Ich bin auf den hinteren Decks und fotografiere. Leider regnet es und ist recht kalt. Die Landschaft ist grau in grau mit tief hängenden Regen– bzw. Nebelwolken. Nach einer Weile gehe ich hinein und auf die Brücke.

Beim Frühstück hatte ich den Kapitän gefragt, ob wir auf die Brücke dürfen. Er erlaubte es, allerdings unter ein paar Bedingungen, was unser Verhalten betraf. Wir dürfen uns natürlich nicht in das Geschehen einmischen, die Offiziere oder Lotsen bei ihrer Arbeit stören oder irgendwelche Geräte anfassen.
Der Kapitän begrüßt mich mit einem Lächeln. Er sieht meine Kamera und wir sprechen kurz über Fotografie. Er sagt mir noch, dass ich, wenn ich Aufnahmen von Personen machen wöllte, diese zuerst fragen soll. Das ist eigentlich selbstverständlich und im Zeitalter der DSVGO sowieso. Schließlich geht er an seine Arbeit und ich schaue aus dem Fenster.

Es sieht so aus, als ob die Wolken immer tiefer kommen. Sie filtern alle Farben aus der Landschaft (so man sie sehen kann). Alles scheint wie in Watte gepackt. Dieser Eindruck wird auch noch von der Ruhe auf der Brücke verstärkt. Ein Seemann sitzt vor dem Steuerrad, dass kleiner als das eines PKW ist. Er schaut auf den großen Bildschirm des Navigationsgerätes, wo die Fahrrinne eingezeichnet ist. Natürlich ist die Fahrrinne auch auf dem Fluss mit grünen und roten Bojen markiert. Der Lotse sitzt schweigend daneben. Die Offiziere kommen und gehen.

Auf der Brücke habe ich die Idee, dass ich gut ein Zeitraffervideo von der Fahrt auf der Elbe machen könnte. Wir sind zwar schon ein Stück gefahren, aber ich entscheide mich, es dennoch zu probieren. Ich habe noch nie ein Zeitraffervideo erstellt und so kann ich üben. Allerdings ist die Brücke nicht der optimale Ort dafür, da ich durch ein Fenster fotografieren müsste. Aber aus meiner Kabine müsste es gehen, ohne dass ich in die Kälte und Nässe hinausmuss.
Also gehe ich zurück in die Kabine, sehe mir ein paar kurze Videos zu Zeitraffer an, lese im Nikon–Handbuch den Abschnitt über Intervallaufnahmen und suche mir dann alle Ausrüstung, die ich brauche, zusammen. Ich habe kein Dreibeinstativ dabei, wohl aber ein Einbeinstativ, wo man die Stange von den Füßen abschrauben und die Füße dann als kleines Tischstativ benutzen kann. Darauf schraube ich einen Kugelkopf und stellte das ganze ins Fenster. Es ist gerade genug Platz auf der Fensterbank, dass es fest stehen kann. Die Kamera wird am Kugelkopf befestigt und dann starte ich eine Intervallsequenz. Alle 5 Sekunden ein Foto. Insgesamt 999 Fotos. Mehr kann Nikon mit Bordmitteln nicht. Das wird eine Zeitraffer–Sequenz von 40 Sekunden ergeben. Um 10:30 beginne ich mit der Sequenz, um 12:00 bin ich fertig.
Da sich das Schiff ja bewegt und da ich bei offenem Fenster fotografieren muss, will ich die Kamera auf dem kleinen Stativ nicht aus den Augen lassen. Deshalb stehe ich die meiste Zeit daneben, trinke Kaffee und schaue in die Gegend.
Die Elbe ist nun schon sehr breit. Ab und zu taucht eine Ortschaft aus dem Nebel auf, um dann bald wieder darin zu verschwinden. Maps.me, meine neue Karten–App auf dem Smartphone verrät mir, dass wir bald in Cuxhaven sein werden. Die Nordsee liegt vor uns.
Da ich nicht weiß, wie lange ich noch Mobilfunkempfang haben würde, verabschiede ich mich von allen auf WhatsApp, und, als die Sequenz von 999 Bildern fertig ist, gehe ich erstmal Mittagessen.
Es sind nur noch der Kapitän, seine Frau und Pierre da. Wir unterhalten uns angeregt. Die Frau des Kapitäns kann nicht mitreden, aber sie lächelt freundlich, und ich glaube, ich werde gut mit ihr klarkommen. Der Kapitän verrät uns, dass er leidenschaftlicher Wildlife-Fotograf ist und dass die wunderbaren Vogelaufnahmen in der Offiziersmesse von ihm seien. Ich sage ihm, wie sehr mir das Bild vom Pelikan gefällt. “Es ist doch ein Pelikan?” frage ich und schaue auf Pierre, der immer noch an seiner Puffin–Theorie festhält. Der Kapitän freut sich über das Lob und bestätigt das offensichtliche: Es ist ein amerikanischer Pelikan.
Als wir mit dem Essen fertig sind, sind wir gerade in der Nordsee angekommen. Es gibt noch guten Empfang aus Cuxhaven und ich rufe nochmal schnell Anita an. Morgen werden wir zwar schon Antwerpen erreicht haben, zwischendurch, auf hoher See, wird es das erste Mal in langer Zeit, dass wir uns nicht sofort erreichen können.
Am Nachmittag mache ich mich an die Arbeit der Zeitraffer–Sequenz. Ich schaue mir noch ein paar Videos an und starte dann die Software LRTimelapse, von der ich eine Testversion habe. Damit kann ich zwar nur 400 Bilder in einer Sequenz bearbeiten, aber zum Üben ist das in Ordnung.
Zwischendurch kommt Robert, um mein Bett neu zu beziehen. Wir vereinbaren, dass er bei mir putzen wird, wenn ich meinen Tagesausflug nach Antwerpen machen würde, also wahrscheinlich übermorgen. Er warnt mich auch, dass es um 16:00 eine Notfallübung geben würde, wie jeden Samstagnachmittag.
Um 16:00 kommt dann auch das Alarmsignal – sieben kurz, ein lang – und wir gehen, mit Helm und Rettungsweste an Deck. Wir werden einmal durchgezählt und können dann, wegen des üseligen Wetters, wieder zurück in unsere warmen Kabinen.
Auf der Nordsee gibt es Wellen. Die sind noch nicht der Rede wert, sagt der Kapitän, aber man merkt die Bewegung, das Schaukeln von rechts nach links und das Rollen von vorne nach hinten. Daran muss ich mich erstmal gewöhnen, aber noch komme ich gut damit klar.
Ich beschäftige mich weiter mit dem Thema Zeitraffer und bin am Ende mit meiner ersten Sequenz von der Ausfahrt aus der Elbe zufrieden. Morgen will ich unsere Einfahrt in Antwerpen aufnehmen. Der Kapitän hat gesagt, dass wir durch Schleusen müssen. Es kann also super spannend werden.
Hier ist das Ergebnis, mein erster Zeitraffer-Film:
Beim Abendessen händigt mir der Kapitän ein dreiseitiges Schriftstück aus. Darin hat er die Verhaltensregeln der Passagiere umrissen. Dieser Kapitän mag klare Regeln. Einerseits wirkt er so autoritär, anderseits ist es für alle einfacher, wenn sie wissen, was sie tun dürfen oder nicht. Ich hatte mir schon sowas vom alten Kapitän gewünscht, aber der hatte keine Zeit bei der Krise an Bord. Am Ende hat der Kapitän die Verantwortung für das Schiff, die Personen darauf und für die Ladung und ist auch die höchste Instanz für alle hier. Deshalb finde ich seine Regeln hilfreich und legitim. Das autoritäre Image wird aber auch von seiner Freundlichkeit durchbrochen. Ich kann wirklich gut mit ihm plaudern.
Nun ist es tiefschwarze Nacht, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt eine so dunkle Nacht erlebt habe. Im Hafen war das Schiff immer hell von den eigenen Scheinwerfern und von den Lichtern der Docks angestrahlt worden. Hier, auf dem Meer ist alles zappenduster. Lichter würden die Arbeit auf der Brücke erschweren und, genauso wie man im Auto auch kein Licht anmacht, wenn man nachts fährt, bleiben hier alle Lichter auf dem Schiff abgeschaltet. Wegen des Nebels und der Wolken sieht man auch keine Sterne oder die Lichter von Orten an der Küste. Es ist tiefschwarze Nacht.
Die Sache mit dem Satellitentelefon–App funktioniert, ist aber kompliziert. Ich brauche eine halbe Stunde, bis ich mich angemeldet habe und plaudere mit Anita. Das Gespräch von ein paar Minuten kostet 35 c.
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Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.


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