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Nach dem Aufstehen schaue ich aus dem Fenster und sehe, dass in der Nacht ein riesiges Kreuzfahrtschiff von der TUI angelegt hatte. Es ist mindestens zweimal so lang wie die Bright Sky. Es heißt “Mein Schiff 2“. Das gesamte obere Deck mit 9 Stockwerken sieht aus wie ein Taubenschlag. Eine Kabine liegt neben der anderen. Oben gibt es ein paar Luxuskabinen. Ganz oben im hinteren Bereich sind die allgemeinen Räume wie Partyraum und Restaurants. Also, ich wollte ja schon immer mal mit einem Schiff fahren, aber auf so eins habe ich gar keine Lust.

Auf der anderen Seite, beim Containerhafen, hat ein noch größeres Containerschiff angelegt. Es heißt “Cosco Capricorn” und kommt aus Hong Kong. Sieben Kräne ent– und beladen es gleichzeitig. Auf der Schifffahrtskarte im Internet sieht die Bright Sky gegen die beiden Pötte sehr klein aus.
Offensichtlich geht der Trend zu immer größeren Schiffen. Der Ingenieur hat erzählt, dass die Köhlbrandbrücke abgerissen werden soll, damit auch die ganz Großen durchfahren können. Der Autoverkehr soll dann unterirdisch durch einen mehrspurigen Tunnel gehen. Ich finde es traurig, dass man eine so imposante Struktur wie diese Brücke abreißen möchte, aber der Ingenieur beruhigte mich mit “Die sind noch in der Planungsphase. Das ist wie beim BER.”
Wir haben ein besonders spannendes Frühstück.
Wir lernen den neuen Kapitän kennen. Er spricht ein ausgezeichnetes, fast britisches Englisch und kommt mir sofort sympathisch rüber.
Dann kommt der Mann von MACS, der Reederei. Er heißt Petersen und ist ein richtiger Hamburger.
Herr Petersen erklärt uns, was mit der Maschine passiert ist. Das Öl, das den Motor schmiert und kühlt, war mit Wasser kontaminiert worden. Durch die Bewegung und die Hitze war eine Emulsion, wie Mayonnaise, entstanden. Diese Schmiere, die fast wie ein Klebstoff ist, hat verursacht, dass die Zylinder funktionieren konnten. Auch die Abgasventile konnten sich nicht mehr öffnen. Die Folge war, dass die Abgase in die falsche Richtung zum Turbolader gingen und haben dem auch einen Schlag abgegeben.
Zuerst hat man die Maschine gereinigt. So wie es mir neulich erzählt wurde, wurde alles Öl abgelassen und ein paar Seeleute mussten in die Maschine kriechen, um die Emulsion vom Inneren zu entfernen. Das Problem ist, dass unsere Maschine sehr modern ist – wie ein Common Rail Diesel. Das hat natürlich Vorteile, dass es Sprit spart und umweltfreundlicher ist, aber auch Nachteile, dass es viele Röhrchen gibt. Alle waren verklebt und mussten von der Emulsion gereinigt werden. Die Maschine war aber relativ schnell wieder in Ordnung.
Das, was uns aufhält, sind die kaputten Turbolader, wovon die Maschine pro Zylinder einen hat, insgesamt also sieben. Vier davon sind kaputt. Ein Turbolader ist auch eine komplexe Maschinerie, die aus vielen Einzelteilen besteht. Normalerweise wird ein ganzer Turbolader ersetzt. Das Problem ist, dass wir nur einen Ersatzturbolader haben, aber vier brauchen. Inzwischen hat man bis Singapur und Houston telefoniert, um Turbolader zu bekommen. Aber sie fallen so selten aus, dass sie nicht überall verfügbar sind. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten:
Die eine ist, dass man die Ersatzturbolader der Schwesternschiffe der Bright Sky holt und einbaut. Zwei der Schwesternschiffe liegen aber in Südafrika. Bis die Turbolader hier in Hamburg sind, ist Dienstag, bis sie eingebaut sind, haben wir Mittwoch.
Die andere Möglichkeit ist, dass man die Turbolader selbst auseinandernimmt und mit Ersatzteilen neu aufbaut. Diese Teile sind verfügbar und auch schon an Bord, aber es die Crew ist nicht sicher, dass sie alles hat, was sie braucht und dass die Reparatur so auf die Schnelle gelingt.
Beide Möglichkeiten werden parallel angegangen. Im Augenblick versucht man die Turbolader unten zu reparieren. Gleichzeitig werden die von den Schwesternschiffen eingeflogen.
Wenn die Reparatur gelingt, fahren wir morgen los. Wenn nicht, erst nächsten Mittwoch.
Der Reederei ist es wichtig, das Schiff komplett repariert auf See zu schicken und nicht das Risiko einzugehen, dass wir irgendwo in Westafrika (zum Beispiel Lagos) in einen Hafen einlaufen müssen. Erstens würde dort eine Reparatur mindestens vier Wochen dauern, zweitens hätte man ein großes Sicherheitsproblem wegen der Piraterie, die dort häufig vorkommt.
Pierre und ich zählen die Reisetage zusammen: 1,5 Tage von Hamburg bis Antwerpen. Da liegen wir 2,5 Tage, um Fracht zu löschen und zu laden. Anschließend geht’s weiter nach Walvis Bay. Porto wird ausgelassen. Antwerpen–Walvis Bay dauert mindestens 19 Tage. Das sind insgesamt 23 Tage. Pierres Flug nach Madagaskar geht am 21. Februar. Wir müssten spätestens am 20. Februar in Walvis Bay anlegen. Das bedeutet, dass wir spätestens am Dienstag, den 29. Januar ablegen müssen. Wenn das Reparaturexperiment nicht gelingt, werden wir aber frühestens am Mittwoch, den 30. Januar losfahren. In dem Fall kann Pierre nicht mehr mit. Wenn wir also nicht morgen ablegen, verlässt er das Schiff, bekommt sein Ticket erstattet und fliegt dann nach Südafrika, um weiter nach Madagaskar zu reisen.
Ich plaudere mit Herrn Petersen noch über Container und Containerschiffe. Nach der Katastrophe vor ein paar Tagen, bei der 270 Container, einige mit Giftstoffen, verloren gingen und dann in den Naturschutzgebieten der Nordsee herumdümpelten, haben Anita und ich schon Sorge um unsere Siebensachen, die wir in ein paar Wochen mit einem Container verschiffen wollen. Herr Petersen erklärt mir, dass Seeleute die Ladungssicherung schon ernst nehmen, aber auch, wie es passieren kann, dass ein Schiff Container verliert:
Es gibt zwei Arbeitsweisen, um Container zu sichern. Die eine ist die traditionelle. Um Container, die übereinandergestapelt werden, miteinander zu verbinden, werden oben an allen vier Ecken eines Containers ein Sicherheitsmechanismus angebracht. Dann wird der nächste Container darauf gestapelt, die Sicherheitsmechanismen rasteten ein und die Container sind verbunden. Dann muss der Arbeiter auf den oberen Container gebracht werden, wieder die Sicherheitsmechanismen anbringen und so weiter und so fort. Dieses Verfahren ist aber zeitaufwändig und auch vom Arbeitsschutz her bedenklich.
Man will bei den großen Containerschiffen nicht mehr, dass Menschen auf Containerstapeln herumzuklettern und hat deswegen ein anderes Verfahren entwickelt: Der Container wird am Kai kurz angehoben und die Sicherheitsmechanismen unten an allen vier Ecken angebracht. Dann hebt der Kran den Container aufs Schiff und durch den Stoß beim Aufsetzen rastet der Sicherheitsmechanismus am Container drunter ein. Beim Entladen muss der Mechanismus wieder ausrasten und auch das geschieht über einen Stoß.
Wenn also der Sicherheitsmechanismus funktioniert, warum verlieren die Schiffe Container? Herr Petersen sagt, man sollte keinesfalls denken, dass ein Containerschiff wegen seiner Größe und Schwere ruhiger auf dem Meer läuft als ein kleinerer Frachter wie die Bright Sky. Containerschiffe werden bei Sturm genauso hin und her geschaukelt wie kleine Frachter und wegen ihrer Länge und Höhe sind da noch ganz andere Hebelwirkungen am Zug. Die großen Schiffe bieten dem Wind auch mehr Angriffsfläche. Jedenfalls schaukeln Containerschiffe wie alle anderen Schiffe auch und manchmal passiert es, dass die hohen Wellen dem Schiff einen Stoß versetzen. Wir wissen ja inzwischen, dass ein Stoß den Sicherheitsmechanismus von Containern entriegelt und genau das kann passieren, wenn eine hohe Welle ein Schiff unglücklich trifft. Der Mechanismus wird entriegelt, die Hebelwirkungen auf den Containerstapel tun ihr übriges und die Ladung fällt von Bord.
Beim Mittagessen lernen wir die Gattin des neuen Kapitäns kennen, die Ihren Mann auf dieser Reise begleitet. Leider spricht sie, im Gegensatz zu ihrem Mann, kein Englisch. Deutsch ist ihr genauso fremd wie mir Polnisch. Das ist schade. Außer “Hello”, “How are you”, “Please” und “Thank you” können wir nicht miteinander reden.
Beim Abendessen herrscht Stille. Selbst unser redseliger deutscher Ingenieur ist viel zugeknöpfter als sonst. Das liegt vielleicht daran, dass bei der Reparatur der Turbolader nicht der gewünschte Erfolg zu verspüren ist. “Vier Schritte vor, acht zurück” fasst er die Stimmung bei den Reparaturtätigkeiten zusammen.
Am Abend spielt Deutschland gegen Norwegen im Handball–WM–Halbfinale. Da will ich mal schauen, ob ich das Spiel im Fernsehen verfolgen kann. Pierre hat mir erzählt, dass er Sender auf seinem Fernsehgerät reinbekommen hat, allerdings sind sie alle polnisch. Ich denke mir, dass die Polen vielleicht auch die WM zeigen. Aber ich bin heillos überfordert mit dem Fernsehgerät, Receiver und den Fernbedienungen. Am Ende gebe ich auf und lasse mir von Freunden und Familie Updates per WhatsApp übermitteln.
Dann ruft mich der Kapitän höchstselbst an und teilt mir mit, dass die Reparaturen abgeschlossen sind und der Lotse für morgen früh um acht Uhr bestellt ist. Es kann also losgehen. So schnell kann es dann gehen! Ich bin immer noch skeptisch und glaube es erst, wenn wir wirklich losfahren.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.

Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.


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