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Nachrichten von der Schiffsfront beim Frühstück sind: Man hat die Einheit gefunden, die für den Fehler beim Turbolader verantwortlich ist. Ersatzteile gab’s in Holland, wurden geliefert und werden gerade eingebaut. Dann soll alles getestet werden. Wenn’s gut geht, laufen wir heute Nachmittag aus. Pierre darf nochmal in die Stadt. Vor 16:00 Uhr wird keine Gangway hochgezogen.
Beim Mittagessen sagt der Kapitän, dass er schlechte Nachrichten habe: Die Reparatur ist nicht geglückt. Wir müssen noch ein paar Tage in Hamburg bleiben. Er selbst geht morgen von Bord. Ein neuer Kapitän mit Ehefrau und ein paar neue Seeleute kommen an Bord.
Der Koch ist, wie alle anderen Seeleute, ein Pole. Deshalb gibt es hauptsächlich polnische Küche. Kohl und Rote Beete sind ein fester Bestandteil dieser Küche. Am Anfang war ich noch skeptisch, ob mir das Essen so auf die Dauer schmecken wird, aber inzwischen bin ich ein Fan vom Koch. Jede Mahlzeit, die Robert, der Steward, uns auftischt, ist ausgezeichnet.
Robert ist ein Lieber. Er hat meistens einen leicht besorgten Blick, weil er alles richtig machen will und deshalb sofort sehen will, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Sein Englisch ist gut, aber man merkt, dass es nicht seine erste Sprache ist. So wählt er seine Worte immer mit Bedacht und Ernst und schaut dann, besorgt, ob wir ihn auch verstanden haben. Aber er kann auch Lächeln und ich versuche immer mit ihm zu plaudern. Heute gibt es zum Mittagessen Kohlrouladen. Robert benutzt aber den polnischen Ausdruck, erklärt, worum es sich handelt und sagt dann: “It’s a typical polish dish.” Ich antworte: “Oh, it’s also a typical German dish. We call it ‘Kohlroulade’.” Darüber spricht er wohl mit dem Koch, denn nach einer Weile kommt er zurück und will nochmal wissen, wie der deutsche Ausdruck ist. Wir üben ein paar Mal “Kohlrouladen” zu sagen und dann geht er zurück in die Küche, “Kohlrouladen. Kohlrouladen” murmelnd.
Am Nachmittag besuche ich Pierre in seiner Kabine, die “Owner’s Cabin”, eine Suite mit Schlafzimmer und Wohnzimmer auf dem D–Deck. Pierre zeigt mir Fotos aus den 70er Jahren, als er durch Afrika getrampt ist. Einmal Cape to Cairo.
Aber eigentlich will er mit mir über die Situation an Bord sprechen. Er hat mit einem der Offiziere geredet. Die Ersatzteile, die geliefert wurden, waren nicht die richtigen. Jetzt sucht man ganz verzweifelt in Deutschland und allen seefahrenden Nachbarländern, um sie in die Hände zu bekommen. Wir werden noch ein paar Tage hier sein. Wenn wir dann irgendwann mal losfahren, werden Porto und Port Elizabeth von der Route gestrichen. Walvis Bay ist aber noch drauf, da es ein wichtiger Hafen für die Reederei ist. Pierre wird vielleicht auch nicht rechtzeitig nach Kapstadt kommen. Nun überlegt er, ob er in Walvis Bay aussteigt und dann nach Johannesburg fliegt oder ob er den Traum vom Schiff ganz aufgibt. Seine Reiseagentur spricht gerade mit der Reederei wegen Kostenrückerstattung. Ich fände es schade, wenn er nicht mehr mitkommt. Er ist mir richtig ans Herz gewachsen.
Als der Ingenieur ihn vor ein paar Tagen darauf angesprochen hatte, hat Pierre gesagt, dass es nicht ein Ziel in seinem Leben ist, alle Länder der Welt zu bereisen. Und ich denke auch, dass er das glaubt. Aber er zeigt mir heute auch eine Weltkarte, in der er alle Länder, in denen er schon mal in seinem Leben war, mit Marker gekennzeichnet hat. Neulich war er ein paar Tage in Kopenhagen. Dänemark war sein 106. Land. Jetzt, wo er nicht mehr arbeiten muss, kann er auch zu anderen Jahreszeiten als im europäischen Winter verreisen. Von Südafrika will er weiter nach Madagaskar, Réunion und Mauritius. Ihm ist es jetzt wichtiger, nach Madagaskar und Mauritius, wo er noch nicht war, zu kommen, als mit einem Schiff ums Kap der Guten Hoffnung (wo er schon war) zu fahren. Zwar hätte er gern das eine mit dem anderen verbunden, aber wenn er wählen muss, wählt er Madagaskar, Mauritius und Réunion. Wenn die Bright Sky nicht bald ablegt, sodass er zumindest bis nach Walvis Bay kommt, wird er die Schiffsreise aufgeben.
Meine Prioritäten liegen anders. Ich will einmal in meinem Leben mit einem Schiff von Europa nach Afrika fahren. Aus diesem Grund werde ich auf der Bright Sky bleiben. Die einzige Alternative für mich wäre ein anderes Schiff.
Beim Abendessen erzählt Pierre, dass seine Anfrage bei der Reiseagentur Wellen geschlagen hat. Er hatte am Nachmittag einen Anruf von MACS, der Reederei bekommen und sich da ein wenig die Hierarchie hoch telefoniert. Jedenfalls kommt jemand von MACS morgen zum Frühstück, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Der Kapitän ist auch schon informiert und nicht sonderlich davon begeistert, an seinem letzten Arbeitstag noch Management der Reederei an Bord zu haben, schon gar nicht nach dem heutigen Tag, wo die Reparatur so in die Hose gegangen war.
Der Kapitän erzählt uns, dass es mit der Reparatur doch schneller gehen könnte. Die Ersatzteile waren zwar noch nicht gefunden worden, aber es gibt eine Firma in Hamburg, die die kaputten Teile reparieren könnte. Vielleicht fahren wir doch schon morgen los. Pierre sagt, dass er dann doch noch bis nach Walvis Bay mitkommen würde.
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Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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