Winston und die Japanerin
Als ich Kind war, fuhren wir noch ohne 4×4 Offroad. In der Zeit habe ich Sand fürchten gelernt. Zu oft mussten wir das Auto freischaufeln oder anschieben. Wenn mich heute jemand fragt, welches Offroad ich am wenigsten gerne fahre, dann sage ich immer noch „Sand“. Ich vermute, dass Matsch noch schlimmer ist, aber damit habe ich kaum Erfahrung. Am liebsten fahre ich auf Felsen. Die sind hart; das Auto versinkt keinen Millimeter.
Aber in Wirklichkeit ist Sand einfach zu fahren. Wir lassen Luft aus den Reifen (1,2 Bar vorne, 1,4 Bar hinten), legen Allrad ein, aber nur High Range und los geht es.
Ich muss mich von meiner irrationalen Furcht vor Sand therapieren und darum machen wir einen Ausflug den Strand entlang nach Norden.
Etwa 20 km weiter nördlich, so ist es auf Tracks4Africa eingezeichnet, liegt das Wrack der Winston, die 1970 dort strandete. Das ist unser Ziel.
Es ist tiefer Sand, aber nach einer Weile fahre ich entspannt immer in einer Fahrspur, die jemand anders schon gelegt hat, entlang.
Wir könnten es uns auch einfach machen, und auf dem Strand zwischen Ebbe- und Flutstand fahren. Der Sand ist dort nass und fest, aber der Strand ist manchmal auch sehr schräg geneigt und wir wollen auf keinen Fall durch eine Welle fahren. Unser Auto zeigt jetzt schon, nach einer Woche, einige Roststellen.
Als erstes erreichen wir St. Nowhere. Das ist ein „Spa und Campsite“. In unseren Diskussionen über wohin wir dieses Jahr fahren wollten, hatten wir St. Nowhere auf dem Plan. Bekannte, die schon dort waren, zeigten sich dann aber wenig begeistert. Jetzt fahren wir dort vorbei und verstehen, warum uns keiner diese Campsite empfohlen hat.
Weiter geht es im Tiefsand immer am Strand entlang. Heiko fährt manchmal weiter im Inland, wo der Boden härter ist, ich bleibe in der Fahrrinne, die irgendein Angler mal gefahren hat.
Ein Wrack! Etwa 100 m vom Strand entfernt liegt ein Schiff auf der Seite im Meer. Es kann nicht die Winston sein, denn nach 50 Jahren an der Skeleton Coast sieht kein Schiff mehr so neu aus. Außerdem ist das Wrack der Winston, laut Navi, noch 8 km weiter nördlich. Wir versuchen den Namen des Schiffes zu entziffern, können aber erst nur asiatische Schriftzeichen ausmachen. Dann entdecken wir lateinische Schriftzeichen. Das Schiff heißt Fukuseki Maru.
Die Fukuseki Maru ist ein relativ neues Opfer der Skeleton Coast. Das 50-Meter lange japanische Schiff, Baujahr 1996, strandete am 22. März 2018 ein paar hundert Meter von der Küste entfernt auf Felsen im Meer. Es gab mehrere Versuche, das Schiff zu retten, aber das Meer war zu rauh und die Klippen, auf der das Schiff liegt, zu gefährlich – die Rettung hätte mehr gekostet, als was das Schiff wert war.
Wir tauschen uns kurz mit Heiko aus. Sein Auto hat zwar ein Navi, aber nicht Tracks4Africa und kennt deshalb nicht die Winston. Er sagt, dass er weiterfahren möchte und fährt los, wir hinterher.
Zwei Schakale liegen direkt neben dem Weg. Sind sie tot? fragen wir uns. Nein, der eine hebt den Kopf, der andere dreht sich auf die Seite. Sie schlafen nur.
Wir gucken und fotografieren und fahren dann weiter. Heikos Auto sehen wir nicht mehr; es ist sicher hinter den kleinen Hügelchen weiter vorne.
Nach ein paar Kilometern erreichen wir eine Bucht, die das Navi als Durissa Bay identifiziert und dann haben wir unser Ziel erreicht: das Wrack der Winston.
Die Winston war ein ostdeutsches Fischerboot, das 1961 gebaut wurde und wegen dichten Nebels am 17. Oktober 1970 23 km nördlich von Meile 108 strandete.
Wie fast alle Skelette der Skeleton Coast ist das Wrack mit Sand bedeckt. Drei verrostete Schiffsaufbauten sind noch zu sehen, die etwa 100 m auseinander liegen. Von der Winston ist nach 50 Jahren nicht viel übriggeblieben; zu gnadenlos sind Wellen, Wind, Sand und Rost.
Heikos Auto ist nirgendwo zu sehen.
Wir machen eine längere Rast, fotografieren die Überbleibsel des Wracks, gehen am Strand spazieren und trinken etwas. Nach einer halben Stunde ist Heiko immer noch nicht angekommen. Wir entscheiden uns, zurückzufahren.
Diesmal wollen wir die C34 nach Meile 108 zurückfahren. Auf dem harten Weg dorthin kommen uns unsere Reifen sehr weich vor. Also halten wir an, kramen den Kompressor hervor und pumpen die Reifen wieder auf.
Heiko ist immer noch nicht in Sicht.
Es könnte sein, dass er irgendwo havariert ist. Aber wo? Und vielleicht ist auch alles in Ordnung. Wir schauen uns den Streifen zwischen Strand und C34 an, sehen aber nur ein paar Angler.
Wenn Heiko eine Panne hat, gibt es genug Menschen, die ihm helfen würden. Wir fahren zurück.
Kurz vor Meile 108 haben wir wieder Mobilfunkempfang und bekommen prompt einen Anruf von Eudard aus Heikos Auto: Sie sind bei St. Nowhere; wo sind wir? Sie haben uns gesucht; wir waren plötzlich weg.
Aber alle Autos und Menschen sind wohlbehalten.
Als wir uns wieder auf Meile 108 treffen, teilt Heiko uns mit, dass er nicht mit uns weitere Offroad-Ausflüge machen würde. Schade. Wir mögen es auf Meile 108, aber die Neugier und die Sehnsucht nach weiten Landschaften wird uns in der nächsten Woche ein paar Mal in die Namib selbst treiben.
Zum Kotzen
Einmal während eines Urlaubs, so will es inzwischen die Tradition, wird mir schlecht. Übelkeit und Durchfall plagen mich so sehr, dass ich noch nicht mal Lebensmittel ansehen kann, ohne dass mir schlecht wird.
Nach unserem Ausflug zur Winston geht es los. Mir ist schlecht und ich bin schlapp. Ich lege mich ins Bett und stehe, von Gängen zur Toilette abgesehen, erst 15 Stunden später wieder auf.
Auch am nächsten Tag kann ich immer noch nichts essen und setze mich auf unsere Terrasse und lese. Nachmittags geht es mir schon besser, so dass ich ein wenig am Strand spazieren kann. Abends esse ich zwei Zwieback und trinke Tee.
Henties Bay
Nach einer Woche ist es höchste Zeit mal einkaufen zu fahren.
Henties Bay ist der nächste Ort mit Supermärkten, Tankstellen und Restaurants. Der Ort liegt fast 100 km von Meile 108 entfernt.
Unser wichtigstes Anliegen ist, ein Permit für den Dorob Nationalpark zu besorgen. Wir wollen in der nächsten Woche in den Messumkrater und die Minerals 4×4-Route fahren. Dafür brauchen wir eine Erlaubnis, ein sogenanntes Permit. Wir finden die Touristeninformation von Henties Bay, in der ich von zwei sehr netten Mitarbeitern empfangen werde. Sie stellen mir ein Permit für die ganze nächste Woche aus. Es kostet nichts.
Nächster Stopp ist der Spar-Markt. Ich bleibe im Auto bei den Hunden, während Mutter und Anita einkaufen und beobachte die Menschen, die kommen und gehen. Eine Oma mit Stock geht langsam über den Parkplatz, so langsam, dass ich schon überlege, ob ich sie fragen soll, ob ich sie nach Hause bringen kann. Aber sie steigt dann in ein Auto und fährt weg. Von der anderen Seite kommt ein Rollstuhl. Drin sitzt ein alter Mann, der gemütlich eine Zigarette raucht. Er wird von einer Krankenschwester zum Supermarkt geschoben. Jetzt, wo ich so schaue merke ich, dass das Durchschnittsalter der Einwohner von Henties Bay bei etwa 60 Jahren liegt. Eigentlich ist der ganze Ort ein großes Altenheim. Nur in den Sommerferien kommen jüngere Menschen ins Dorf.
Nach dem Einkauf treffen wir uns mit der Heiko-Familie im Milky Bay Restaurant. Die jungen Frauen, die die Bedienung machen sind freundlich und kompetent. Leider ist das Essen eher unterdurchschnittlich. Anita findet, dass ihre Fish ‘n Chips so schmecken, als ob sie aufgewärmt wurden. Ich würde meinen Salat mit Hähnchenbrust nicht nochmal bestellen.
Wir tanken nochmal voll und fahren durch Henties Bay und schauen uns die Häuser an. Wir finden, dass man hier gut die Sommermonate verbringen kann und überlegen, welches der vielen Häuser, die zu Verkauf stehen, wir nehmen würden.
Wir gehen unseren Rückweg nach Meile 108 langsam an. Zuerst machen wir einen Abstecher in die Omaruru-Mündung, dann nach Meile 72. An beiden Stellen gibt es Campingplätze, aber wir kommen zum Schluss, dass der beste Campingplatz an der ganzen Küste Meile 108 ist.
Vögel
Früher gab es mehr Vögel.
Ja, die Erinnerung verklärt vieles, aber ich bin mir sicher, dass es früher mehr Vögel gab.
Auch wenn die Skeleton Coast ein Todestreifen ist, so leben hier doch viele Tiere. Robben sehen wir täglich, Schakale kommen uns immer wieder besuchen und ja, es gibt auch ein paar Vögel. Ein ganzer Schwarm von Dominikanermöwen lebt auf unserem Strandabschnitt. Dazwischen sitzen ein paar Weißbrustkormorane und Kapscharben.
Ich freue mich, als ich eine Raubseeschwalbe sehe. Aber es ist nur eine einzige.
Zwei Weißstirnregenpfeifer laufen der Brandung davon.
Früher waren es Schwärme von Seeschwalben und zwanzig oder mehr Weißstirnregenpfeifer, die man auf einmal beobachten konnte.
Wo sind die Pelikane?
Eigentlich müsste es auf den Salzpfannen der Umgebung Flamingos geben, aber ich finde nur einmal eine rosa Feder.
Ist es hier, auf Meile 108 so unwirtlich, dass auch die Seevögel fern bleiben? Oder gibt es andere Gründe dafür, dass ich so wenige Vögel sehe?
Delfine
Immer, wenn ich zur Toilette gehe, schaue ich übers Meer. Da die Sanitäranlage eine Etage höher als unser Campingplatz liegt, habe ich von dort eine bessere Aussicht.
Mein Blick ist noch immer von den Stunden auf dem Bugbalkon der Bright Sky geschult. Ich schaue ob ich Stellen auf dem Meer finde, die anders aussehen als Meer. Der Unterschied kann minimal sein: Gischt, wo keine sein darf, eine dunkle Stelle, die nicht passt. Und so sehe ich sie: zwei Delfine, die voller Lebenslust hinter der Brandung aus dem Wasser hüpfen.
Sie sind weit weg, aber gut erkennbar.
Später sitzen Anita und ich auf der Veranda vor unserem Zelt und wollen lesen. Aber dazu haben wir keine Zeit. In der Brandung tummeln sich Robben, etwas weiter weg sehen wir immer wieder Delfine.
Luxusangeln
Ein Toyota Hilux Bakkie fährt auf den Strand. Das Auto ist aus Südafrika, aus der North West Province. Ein schwarzer Mann steht auf der Ladefläche.
Das Auto hält in einer kleinen Bucht. Bald steht der weiße Fahrer am Strand und angelt.
Als ich näherkomme, sehe ich, dass hier eine Form des Luxusangelns praktiziert wird:
Der schwarze Mann befestigt den Köder an den beiden Haken und wirft dann den Senker und Köder fachgerecht über die Brandung. Dann gibt er die Angel dem Fahrer des Wagens, einen Buren mit dickem Bauch. Er hält die Angel in der linken Hand, immer einen Finger auf der Schnur, damit er spüren kann, wenn ein Fisch an den Köder geht. In der rechten Hand hält er ein Edelstahl-Glas, das ihm eine junge Frau, vielleicht seine Tochter, in die Hand gedrückt hat. Ich schiele zum Auto: Aha, Brandy Coke ist im Glas.
Der schwarze Mann präpariert derweil eine zweite Angel mit Köder, wirft diesen über die Brandung. Dann nimmt er die erste Angel vom Buren und gibt ihm die zweite Angel. Nun prüft er mit Kennermiene die Schnur. Nein, kein Fisch hat angebissen. Nach einer Weile zieht er den Senker und Köder an Land, und der ganze Ablauf fängt von vorne an.
Der Bure grinst mich glücklich an, als ich vorbeilaufe. „Beißt der Fisch?“ frage ich.
„Nein,“ sagt er.
Es würde mich auch wundern, wenn Fisch anbeißen würde. Vor zehn Minuten war gerade der tiefste Punkt der Ebbe, das Wasser ist viel zu flach. Aber der Mann ist glücklich. Das verstehe ich, denn es muss kein Fisch anbeißen, damit man beim Angeln glücklich sein kann.
Ich wünsche ihm noch eine gute Zeit und viel Erfolg beim Angeln.
Der Bur kommt aus North West Province, die Provinz in Südafrika, die am weitesten vom Meer entfernt ist. Dort saugt man nicht die Kunst des Angelns vom Strand mit der Muttermilch auf, wie viele namibische Kinder es tun. Aber er will mal an der Skeleton Coast geangelt haben und nimmt deshalb die Dienstleistung des schwarzen Mannes in Anspruch. Später höre ich von Heiko, dass es 600 N$ pro Tag kostet.
Ich frage mich nur, was passiert, wenn ein Fisch anbeißt: Wird der Bur ihn herausziehen, oder wird er die Angel dem schwarzen Mann geben? Und wenn der Fisch dann an Land ist, wer hat ihn geangelt?
- Meile 108 – Teil 1
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Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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