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Das Meer hat einen anderen Geruch. Es riecht so, wie ich es von Namibia kenne – nach Leben und Wärme.
Mir fällt jetzt erst auf, dass die Nord– und Ostsee anders gerochen haben als der Atlantik bei Afrika. Jetzt überlege ich, ob das der Grund war, warum diese beiden Gewässer mir nie die Emotionen ausgelöst haben, die ich an der namibischen Küste spüre. Die Nord– und Ostsee riechen vergleichsweise steril. Ich dachte immer, dass der Unterschied in der Wildheit war. Der Atlantik in Namibia hat den starken Benguelastrom und hohe Brecher, die gefährlich werden können. Die europäischen Meere sind da absolut zahm gegen. Aber ich glaube, am Ende ist es der Geruch, der primitivste aller Sinne, den wir kaum bewusst wahrnehmen, der den größten Unterschied macht.
Das Meer riecht jetzt wie zu Hause.
Aber ich weiß auch, dass es hier noch anders ist als im Südatlantik. Hier gibt es eine warme Strömung. Wir sind in den Tropen. Das Meer hat noch nicht die grüne Farbe vom Plankton aus der Antarktis, sondern ist ein wunderschönes tiefes Blau.
Der Wind ist nicht mehr so stark wie gestern und kommt jetzt tatsächlich eher von hinten. Das Meer ist ruhiger. Es ist noch viel Sahara–Staub in der Luft. Aber auch das wird sich legen, jetzt wo wir am westlichsten Punkt Afrikas, Dakar, vorbeifahren.
Gestern wurde der Kurs auf 180° gewechselt. Wir haben den westlichsten Punkt unserer Reise erreicht, liegen knapp westlich vom 18. Längengrad.
Am Nachmittag packe ich meine beiden Kameras, Sonnencreme und eine Cola ein und gehe nach vorne zum Balkon auf dem Bug.
Auf dem Weg nach vorne treffe ich Pierre. Er kommt gerade von der Aussichtsplattform zurück und berichtet, dass er Vögel gesehen hat. Seiner Meinung nach sind wir viel zu weit vom Land für Vögel. Wir streiten über wie weit wir vom Kontinent entfernt sind. Er meint, mehr als 100 km, ich sage, es seien weniger als 100. Aber die Frage lässt sich ja leicht klären: wir zücken beide unsere Smartphones und rufen Maps.me auf, die Navigationsapp, die wir beide nutzen. Okay, ich muss zugeben: Es ist näher an 100 km als ich gedacht habe. Aber nicht viel mehr.
Im Gegensatz zu Pierre wundern mich Vögel so weit draußen auf dem Meer nicht. Ja, wäre es ein Haussperling gewesen, dann hätte ich mir Gedanken über seinen baldigen Tod gemacht. Aber es gibt ja auch Vögel, die auf dem Meer überleben können.
Allerdings hat Pierre recht, wenn er sagt, dass es an der Küste mehr Vögel gibt als hier so weit draußen auf dem Meer. Auch wenn es hier nichts als Wasser gibt, ist es doch eine Art “Wüste”, weil es kein Trinkwasser gibt. Nur die wenigsten Vögel kommen über längere Zeit ohne Trinkwasser aus.
Auf dem Bugbalkon stehe ich am Geländer und schaue aufs Wasser. Heute ist das Meer friedlich. Der Wind kommt von hinten, die Wellen sanft. Ab und zu bricht die Sonne durch die Wolken und wirft silberne Flocken aufs Wasser.
Es ist immer noch viel Staub in der Luft, aber ich kann die Horizontlinie wiedersehen.
Ich schaue aufs Wasser. Eine traurige Wahrheit ist, dass ich relativ viel Müll sehe, seien es Plastikflaschen, seien es Plastiktüten. Oder Styropor, dass ein afrikanischer Fischer mit Schnüren an ein Netz gebunden hatte und die sich befreit haben.
Etwas Großes, braun–gelbes kommt auf mich zu. Zuerst denke ich, dass es ein sehr großer Müllsack aus gelbem Plastik ist, dann, dass es vielleicht ein Tier ist. Eine Robbe? Nein, wir sind 100 km vom Land entfernt. Das ist keine Robbe. Dann sehe ich Flossen. Es ist eine Wasserschildkröte!
Es macht mich glücklich, ein so großes Lebewesen hier draußen auf dem Meer zu sehen. Dann, kurze Zeit später, beobachte ich eine zweite Wasserschildkröte, die seitlich wegtaucht, um dem Schiff zu entkommen.
Ich mache mir etwas Sorgen über die Tiere. Da kommt ein 92 000 Tonnen schweres Metallding auf sie zu, das 54 000 Tonnen Wasser verdrängt. Das Schiff liegt mehr als 11 Meter tief im Wasser. Können die Tiere eine so nahe Begegnung mit dem Schiff überleben?
Kurz nach der Begegnung mit den Schildkröten flattert etwas vor dem Bug. Ein Vogel? Nein, es ist ein fliegender Fisch mit einem grün–blauen Rumpf.
Vor lauter Gucken vergesse ich, dass ich einen Fotoapparat dabeihabe. Die Schildkröten waren so schnell gekommen und gegangen, dass ich froh war, sie überhaupt identifizieren zu können. Das gilt auch für den fliegenden Fisch.
Es gibt tatsächlich Vögel hier draußen und es sind Vögel, die sich hier zu Hause fühlen — Sturmtaucher oder Seeschwalben. Sie fliegen immer wieder vorbei, aber zu weit, als dass ich sie ohne Fernglas identifizieren könnte. Die eine Art hat einen weißen Rücken und dunkle, schlanke Flügel. Ab und zu schwimmen sie auch auf dem Wasser. Ich fotografiere sie in der Hoffnung, sie später am Computerbildschirm mithilfe meines Vogelbestimmungsbuchs identifizieren zu können.
Dann bemerke ich die Rücken und Flossen von … Delfinen? Nein, die Tiere sind größer als alle Delfine, die ich bisher gesehen habe, mindestens doppelt so groß. Sie heben nie den Kopf aus dem Wasser. Ihre Rückenflosse ist, im Vergleich zum Körper sehr klein. Vielleicht ist es eine kleine Walart? Es gelingt mir, die Tiere, leider unscharf, zu fotografieren. Zwar nur die Rücken und die Flossen und nur von weitem, aber vielleicht kann ich besser sehen, was es war, wenn ich die Fotos auf dem Computer vergrößere.
Es ist 17:30. Die zwei Stunden, die ich auf dem Bugbalkon verbracht habe, sind wie im Nu vorbeigegangen. Beim Abendessen tauschen wir uns aus. Pierre glaubt immer noch nicht, dass wir näher als 100 km vom Kontinent entfernt waren. Der Chief Officer sagt dann aber, dass wir uns 80 km an Dakar genähert hatten. Okay, aber das ist immer noch weit für einen Vogel. Der Kapitän hat die Vögel auch gesehen und vermutet auch, dass es sich um Sturmtaucher und Seeschwalben handelt. Seine Frau und er haben übrigens auch eine Wasserschildkröte und fliegende Fische beobachtet.
Ich äußere meine Befürchtungen über die Überlebenschancen von Schildkröten und anderen Tieren so nah am Schiff. Der Kapitän beruhigt mich. Die Bugwelle der Bright Sky schiebt die Tiere zur Seite. Sie werden nicht unters Schiff gesogen, sondern können dran vorbeischwimmen. Wir sprechen darüber, dass Millionen von Jahren, bevor es Menschen auf dieser Erde gab, Schildkröten bereits existierten. In all dieser Zeit haben sie sich immer wieder anpassen müssen. Es sind schlaue Tiere, sie hören das Schiff kommen, lange bevor wir sie sehen. Ja, ich glaube, dass meine beiden Schildkröten unsere Begegnung überlebt haben, aber ich bin mir nicht so sicher, dass alle Tierarten, die es schon Millionen von Jahren vor uns gab, uns Menschen überleben werden. Selbst fernab vom Land, gibt es immer wieder menschliche Artefakte, seien es Plastikflaschen, seien es große Schiffe wie die Bright Sky.
Es gibt Kutteln zum Abendessen. Die Mannschaft und Pierre sind begeistert. Ich entscheide mich, es wenigstens mal zu probieren. Es schmeckt nicht schlecht, aber nach einer Weile gebe ich auf. Ich könnte es aufessen, wenn ich müsste, aber Kutteln sind nicht mein Ding. Pierre, der sonst eher weniger isst als ich, isst meinen Teller auch auf. Für Nicht–Kuttelesser hat der Koch noch Brot und Aufschnitt bereitgestellt.
Nach dem Abendessen mache ich mich wieder auf nach vorne zum Bug. Auf dem Weg treffe ich den Kapitän und seine Frau. Auf dem Balkon packen er und ich unsere Kameras aus. Er hat ein tolles Teleobjektiv. Davon hat er mir neulich schon stolz erzählt. Für seine Frau schleppt er eine Sitzgelegenheit herbei.
Die Sonne ist inzwischen weiter nach Westen gewandert, ihre Strahlen fallen schräger als am Nachmittag und reflektiert ihr Licht zu uns hoch. Es ist schwieriger, etwas im Wasser zu erkennen. Wir üben Wildlife–Fotografie, indem wir versuchen, den Vögeln, die immer wieder vorbeikommen mit unseren Kameras zu folgen und dann ihr Bild einzufangen. Oder wir fotografieren den Müll, der dann und wann vorbeitreibt. Es geht uns nicht so sehr um die Vögel, die viel zu weit weg sind und um den Müll, sondern um den Umgang mit der Kamera. Sie muss so eingestellt werden, dass ich, außer Schärfe, nichts mehr verändern muss. In dem Fall hilft Back–Button–Scharfstellung tatsächlich. Ich lerne auch, die Bewegung des Wassers und der Objekte besser zu lesen.
Zwischendurch bricht immer wieder die Sonne aus den Wolken hervor. Ich gehe der Landschaftsfotografie nach, bei der ich viel eher zu Hause bin. Aber auch hier gilt es, schnell zu sein. Das Meer verändert sich, durch die Bewegung der Wolken und des Schiffes, fast sekündlich.
Oft stehen wir nur an der Reling und schauen aufs Wasser. Pierre kommt auch dazu und bleibt für eine halbe Stunde, aber ich stelle fest, dass ich besser warten kann, mehr Geduld habe als er, wenn es im Ozean nichts zu sehen gibt. Nach einer Weile geht er wieder.
Während ich so aufs Wasser schaue, sehe ich zwei oder drei Rückenflossen. Es ist nicht einfach, Flossen von Wellen zu unterscheiden, aber Wellen bewegen sich anders. Der Kapitän sieht sie auch und meint, dass es ein Hai ist.
Der Kapitän und seine Frau gehen dann auch. Ich bleibe noch eine Weile, schaue aufs Meer und fotografiere das Spiel von Licht und Schatten, das die Sonne auf die Wellen wirft. Es ist sehr friedlich und nie langweilig. Dann aber verschwindet die Sonne und ich gehe zurück in meine Kabine.
Ich lade meine Fotos des Tages auf den Computer und vergrößere sie auf 100 %. Die Optik meiner Kamera ist so gut, dass ich die Vögel identifizieren kann. Es sind Wellenläufer.
Die Fotos von den Walen sind leider unscharf. Da ich kein Bestimmungsbuch für Meerestiere dabeihabe, muss ich mit der Identifizierung warten, bis ich Internet habe.
Wildlife–Fotografie war nie meine Spezialität, aber der Kapitän hat mich mit seiner Begeisterung angesteckt. Ich nehme mir vor, in den nächsten Tagen zu üben.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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