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Das erste, was mir auffällt, als ich den Maschinenraum betrete, ist, dass es kein Raum ist. Es ist ein Labyrinth von Gängen, Räumen, Etagen, Treppen und Maschinerie, dass den Platz eines Mehrfamilienhauses einnimmt.
Das zweite, was mir auffällt, ist, dass es sehr warm ist. Die Seeleute haben ihre gewaschenen Overalls über eine Reling gehängt, weil sie hier sehr schnell trocknen. Dabei befinde ich mich noch am Anfang unserer Tour. Je tiefer wir in das Labyrinth vorstoßen, desto wärmer wird es.
Das Schiff ist wie eine kleine Stadt. Alles, was wir zum Antrieb und zum Leben brauchen muss entweder mitgenommen oder erzeugt werden. Es geht ja nicht nur um den Antrieb, sondern auch um die Steuerung, um elektrischen Strom, um Wasserversorgung, um Kanalisation, um gute Luft aus der Klimaanlage. Auch für Notfälle muss vorgesorgt werden, z. B. muss bei Feuer Wasser aus dem Hydranten kommen.
Der Mensch, der für all diese Dinge verantwortlich ist, ist der Chief Engineer. Er hat mehrere Mitarbeiter, die ihm bei seiner Aufgabe helfen. In der Offiziersmesse treffe ich noch den Second und Third Engineer und der Chief Electrician bei den Mahlzeiten. Ihr Arbeitsbereich liegt tief unten im Schiff, in einem Bereich, der Maschinenraum genannt wird, aber weitaus mehr als das ist.
Beim Frühstück haben der Chief Engineer, Pierre und ich ausgemacht, dass wir uns nach dem Mittagessen für eine Besichtigung treffen. Festes Schuhwerk, keine Flip–Flops, sind angesagt. Wir dürfen fotografieren, sollten aber unbedingt an ein Weitwinkelobjektiv denken.
Es geht eine Treppe hinunter, an Umkleideräumen und trocknende Overalls vorbei in das Gehirn des Schiffes. Es ist eine Computerzentrale, in der alle Maschinerie des Schiffes überwacht wird: die Maschine natürlich, aber auch die Generatoren, den Spritverbrauch, die Temperatur, die Kanalisation, die Trinkwassergewinnung, die Klimaanlage, etc. Das, was wir im Auto auf den Zeigern oder auf der Konsole über dem Steuerrad sehen, ist hier in einem Raum, wird hier, in einem Raum so groß wie ein Tennisplatz überwacht. Die Computer nehmen mehrere Racks ein.
Genau wie die Brücke ist diese Zentrale Tag und Nacht bemannt.
Wir bekommen Ohrenstöpsel in die Hand gedrückt, die wir uns in die Ohren tun und dann geht’s los. Zuerst durch eine große Werkstatt mit Werkbänken, Maschinen und natürlich Werkzeug, dass fein säuberlich an der Wand aufbewahrt wird.
Dann geht es weiter, in das Reich der Maschinen.
Die Maschine, die das Schiff antreibt, ist drei Stockwerke hoch. Es ist unmöglich, sie als ganzes zu sehen, denn sie ist, zur einfacheren Wartung, von einem Gerüst umgeben, welches den Ingenieuren erlaubt, jedes Teil zu erreichen.
Wir gehen immer tiefer die Stahltreppen hinunter. Die Treppen sind steil, haben aber ein Geländer und der Chief Engineer zeigt mir, wie ich das Geländer umfassen muss, um einen sicheren Halt zu haben – nicht von oben, sondern von unten.
Die Maschine treibt eine große Kurbelwelle mit 105 Umdrehungen pro Minuten an, an deren Ende der Propeller ist. Der Propeller ist natürlich draußen, im Wasser. Der Durchmesser des Propellers ist etwa so groß wie zwei Stockwerke.
Bevor das Öl, dass die Maschine schmiert, benutzt werden kann, muss es auf über 126° C erhitzt werden. Natürlich muss es auch gesäubert werden. Das geschieht nicht, wie im Auto durch Ölfilter, sondern durch Zentrifugen, die die Schmutzstoffe im Öl hinausschleudern. Wenn ich es recht verstanden habe, werden die Zentrifugen immer wieder mal mit Wasser ausgespült, um die Schmutzstoffe zu entfernen. Hier ist in Hamburg das Malheur mit dem nicht–schließenden Ventil passiert, welches dazu führte, dass Wasser ins Öl kam.
Der Antrieb ist eine Sache, eine andere ist die Steuerung. Das Steuerblatt, auch draußen im Wasser, wird durch eine riesige hydraulische Anlage bewegt.
Wir laufen am Auspuff vorbei. Die Luft drum herum ist glühend heiß. Damit all das nicht überhitzt, gibt es ein Kühlsystem. Kaltes Meerwasser wird durch große Rohre durch mehrere Radiatoren gepumpt. Sie kühlen die Räume auf erträglichere Temperaturen hinunter.
Elektrizität wird über drei große Dieselgeneratoren erzeugt. Sie sind nicht alle gleichzeitig in Einsatz. Einer genügt, um genug Strom für den täglichen Verbrauch zu erzeugen. Wenn die Kräne auf dem Schiff benutzt werden, wird ein zweiter Generator angeschmissen. Der dritte Generator ist redundant, falls einer der anderen beiden ausfällt.
Trinkwasser wird an Bord durch eine Entsalzungsanlage gewonnen. Nur bei einem längeren Aufenthalt in einem Hafen wird zusätzliches Trinkwasser gebunkert, da Hafenwasser zu schlammig ist. Wenn ich es recht verstanden habe, funktioniert das Entsalzen über Destillation. Hitze ist ja genug vorhanden; sie kann also für diesen Zweck nachgenutzt werden.
Dann gibt es noch die Abwasserkanalisation. Eine Vakuumanlage saugt das Schmutzwasser aus den Toiletten und Duschen. Dem Abwasser werden Mittel hinzugefügt, die den biologischen Abbau beschleunigen. Am Ende wird es im Meer abgelassen. Diese Entsorgung ist allerdings streng geregelt und darf nur weiter als zwölf Seemeilen von einer Küste stattfinden.
Die Ingenieure sind gut ausgebildete Menschen, die in der Lage sein müssen, fernab von jeder Hilfe, auch größere Reparaturen vorzunehmen. Was ist, wenn ein Zylinder in der Maschine ausfällt? Dann wird er ersetzt. Ein Ersatzzylinder steht gleich daneben. Sie müssen also die Maschinen in allen Einzelheiten kennen, logisch die Abläufe analysieren können, um die Fehlerquelle zu finden und dann auch noch das nötige Know–How haben, um die Reparatur durchzuführen.
Ich bin sehr beeindruckt von diesem riesigen Reich aus Maschinen und Rohren und von den Menschen, die alles überwachen und warten.
Nach unserem Ausflug in das Reich der Ingenieure am Nachmittag, reden wir beim Abendessen über die Arbeit der Offiziere an Bord: dem Chief Officer, dem Second und Third Officer und natürlich der Kapitän.
Anlass ist eine Verletzung eines Seemanns am Nachmittag. Die Wunde war größer als das man einfach ein Pflaster hätte drüber kleben können. Er musste auf die Krankenstation und der zweite Offizier, der für solche Fälle am besten ausgebildet ist, musste entscheiden, ob er die Wunde nähen sollte oder nicht.
Pierre und ich fragen den Kapitän über die medizinische Versorgung auf der Bright Sky aus. Nein, es gibt keinen Arzt auf dem Schiff, aber man hat auch mehr als ein paar Ibuprofen und Hustensaft an Bord. Der Kapitän und die Offiziere müssen eine Ausbildung machen, die weit mehr als einen normalen Erste–Hilfe–Kurs abdeckt. Die Krankenstation ist gut ausgerüstet mit Material und Medikamenten, auch verschreibungspflichtige Medizin wie Antibiotika. Man kann vielleicht keine Operationen durchführen, aber auch für ernsthaftere Fälle ist alles vorhanden. Sogar einen Defibrillator habe ich gesehen.
So kommen wir auf die Ausbildung von Offizieren und deren Qualifikationen zu sprechen.
Unser Kapitän erzählt, dass er einen ganzen Ordner von Papieren hat, die ihn zu einem Kapitän machen. Viele von ihnen muss er regelmäßig auffrischen. Uns ist kein Beruf eingefallen, in dem mehr Qualifikationen in einer solchen breiten Vielfalt von Themen benötigt werden. Der Kapitän ist nicht nur die Person, die auf der Brücke die Befehle gibt. Er muss nicht mehr mit komplizierten Instrumenten die Position bestimmen – dafür haben wir heutzutage GPS – aber er muss immer noch wissen, wie es geht. Am Ende ist er aber ein Manager. Er ist der Chef des Chief Engineers und des Chief Officers. Er hat die Verantwortung für das Schiff, für die Menschen an Bord und für die Güter, die transportiert werden. Das ist keine leichte Aufgabe. Sein offizieller Titel ist “Master”. Er ist sogleich der Herr des Schiffs, als auch ein Meister seines Berufs.
Der Chief Officer und seine beiden Kollegen arbeiten hauptsächlich auf der Brücke. Auch auf dem Ozean wird noch nicht autonom gefahren. Theoretisch könne man, sobald man auf dem offenen Meer ist, ein paar Wegpunkte eingeben und bräuchte sich nicht mehr um die Steuerung des Schiffes während der Reise zu kümmern. Praktisch wird das aber nicht gemacht, da sich die äußeren Umstände ändern können. Vor allem in stark befahrenen Seestraßen und in Küstennähe, in der Fischerboote ohne Radar herumfahren, ist es die Aufgabe der Offiziere ein Zusammenstoß mit anderen Fahrzeugen zu vermeiden. Auch auf einer etwas höheren Ebene müssen immer wieder Entscheidungen über den Kurs getroffen werden. Hätte es einen echten Sturm in der Biskaya gegeben, hätten wir irgendwo im Ärmelkanal gewartet, bis er vorüber ist. Wäre der Wind bei den Kanarischen Inseln stark aus Westen gekommen, wären wir nicht zwischen Teneriffa und Gran Canaria durchgefahren, sondern weiter östlich zwischen Lanzarote und Fuerteventura auf der einen und dem afrikanischen Kontinent auf der anderen Seite, da diese beiden Inseln uns mehr Schutz gegeben hätten. Positionswechsel werden also nicht Tage vorher, sondern ein paar Stunden vorher festgelegt. Und auch wenn keiner mehr ein Steuerrad in den Händen halten muss, um ein Schiff in die richtige Richtung zu steuern, so muss immer jemand auf der Brücke sein, der alles überwacht und aufpasst.
Der Chief Officer ist auch der Chef den einfachen Matrosen. Er entscheidet, welche Arbeiten an Bord gemacht werden müssen. Oft sehe ich ihn, in einem roten Overall gekleidet an Deck im Gespräch mit dem Bosun, dem Vorarbeiter der Matrosen.
Außerdem ist er für die Sicherheit der Ladung verantwortlich. Schon in Antwerpen konnte ich beobachten, wie er, als alles verladen war, alles überprüfte. Waren die Ketten, die die LKWs an Bord fixierten, stramm genug? Waren die Sicherheitsmechanismen der Container eingerastet? Überhaupt wird der Cargo Agent im Hafen zusammen mit dem Chief Officer die Ladungsplanung finalisieren – lange bevor das Schiff in den Hafen einläuft.
Oben habe ich ja schon berichtet, dass der Second Officer an Bord der Bright Sky der Spezialist für die medizinische Versorgung ist. Seine Offizierskollegen haben zwar auch die Ausbildung, aber wenn eine Wunde genäht werden muss, ist es der Second Officer, der diese Aufgabe übernimmt.
Der zusätzliche Aufgabenbereich des Third Officers ist Sicherheit (im Sinne von “Safety”; Sicherheit im Sinne von “Security” ist Aufgabe des Chief Officers). Der Third Officer hatte uns ja schon im Hafen von Hamburg eine Einführung für Notfälle gegeben. Er ist verantwortlich für die diversen Sicherheitsübungen wie “Abandon Ship” und “Man over Board”. Er muss dafür sorgen, dass alle Rettungsboote an ihrem Platz sind und er muss regelmäßig die Rettungsanzüge der gesamten Mannschaft überprüfen.
Die Menschen, die mit uns hier in der Offiziersmesse essen, also der Kapitän, die Offiziere und die Ingenieure sind hoch ausgebildete Personen, die eine große Verantwortung tragen. Das ist mir heute beim Chief Engineer bewusst geworden, der sich nicht nur um die Maschine, sondern um alle andere Technik an Bord kümmern muss. Das merke ich auch bei den Offizieren, die mehr als nur ein paar Befehle in einen Computer eingeben müssen.
Abends gehen Pierre und ich nochmal zum Bug des Schiffes und machen Fotos vom Sonnenuntergang.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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