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Delfine!
Zwei Delfine schwimmen neben dem Schiff, begleiten es ein paar hundert Meter und springen immer wieder über die Bugwelle. Dann überholen wir sie. Ein paarmal sehe ich noch ihre Rückenflossen.
Ich gehe auf die Brücke. Der Third Officer steht mit einem Fernglas am Fenster. “I saw dolphins!”, sage ich zu ihm. “Yes, me too”, sagt er, und grinst. Er freut sich auch, die Tiere zu sehen.
Ich mag den Third Officer, ein junger Mann, von dem ich glaube, dass er einmal Kapitän werden wird. Er ist freundlich und hilfsbereit. Er hat uns vorletzte Woche in die Notfallprozeduren eingewiesen. Mit ihm kann man plaudern. Er hat auch ein Auge für die Schönheit um ihn herum. Heute stand er neben mir auf dem Balkon der Brücke, um auch mit seinem Smartphone ein Foto von dem sehr schönen Sonnenaufgang zu machen. “It’s beautiful”, sagte ich zu ihm. “Yes”, bestätigte er.
Ich stelle ihm ein paar Fragen zu den Instrumenten.
Das Schiff hat drei Radaranlagen, zwei auf dem Dach der Brücke und eine am Bug. Sie senden auf verschiedenen Frequenzen. Es gibt zwei Bildschirme, die die Radar–Scans anzeigen. Im Augenblick sind sie blau. Es gibt keine anderen Schiffe in unserer näheren Umgebung.
Zwischen den Radarschirmen ist das Navigationsgerät mit der Seekarte.
Auf den ersten Blick sieht die Karte aus wie eine Landkarte. Berge und Täler lassen sich aus den Höhenlinien erkennen. Es sind auch Höhen– oder vielmehr Tiefenangaben vorhanden. Ich frage den Offizier, ob die Tiefe in Fuß oder Metern gemessen wird. Bei Schiffen, die in Seemeilen und Knoten rechnen, weiß man es nie. Es sind Meterangaben. Durchschnittlich 3000 m Wasser liegen im Augenblick unter uns. Ich sage zum ihm, dass ich noch nie in meinem Leben auf so viel Wasser war. Er lacht und sagt, dass wenn wir erstmal um Westafrika rum sind, die Tiefe 5000 m und mehr sein wird.
Ein Notruf kommt durch. Erst in Spanisch oder Portugiesisch, dann in Englisch. Er gilt nicht uns. Irgendeinem Boot oder Schiff, näher an der Küste ist irgendwas passiert. Wir sind zu weit weg, auf N39° 07.295′ W12° 05.054′, 225 km vom europäischen Festland entfernt, fast auf der Höhe von Lissabon.
Er erklärt mir die zwei verschiedenen Geschwindigkeitsmessungen, die beide in Knoten angegeben werden. Die eine zeigt 14.8 Knoten. Das ist unsere Geschwindigkeit auf dem Wasser. Die andere zeigt 15.1 Knoten. Das ist unsere tatsächliche Geschwindigkeit, die wir dank einer Strömung von hinten erreichen.
15 Knoten sind knapp 28 km/h. Die großen Containerschiffe fahren 20 Knoten (37 km/h). Auf Land wäre das quälend langsam. Hier ist es eine angenehme Geschwindigkeit. Da wir diese Geschwindigkeit 24/7 fahren, schaffen wir pro Tag 670 km oder 363 Seemeilen. So machen wir doch ganz schön Strecke.
Heute haben wir kaum Dünung und Wind. Das Meer ist ruhig, die Bright Sky schaukelt nicht mehr. Ich sage zum Offizier, dass ich zum Bug des Schiffes gehen möchte. Er gibt mir sein okay. Der Spaziergang ist allerdings nicht so einfach. Die Mannschaft ist dabei, das Deck mit Hochdruckreinigern und Besen zu säubern. Auf halber Strecke kehre ich um. Ich möchte die Männer nicht bei ihrer Arbeit behindern.
Es ist viel wärmer als in Hamburg oder Antwerpen. Ich ziehe zwar immer noch mein Fleece und meine dicke Winterjacke an, aber nun kann ich lange draußen bleiben, ohne zu frieren. Pierre und ich träumen schon davon, in Shorts und T–Shirt auf dem Deck sitzen zu können.
Vormittags ist das Meer sehr glatt. Es gibt zwar eine leichte Dünung, aber keinen Wind. Ideale Umstände also, um Wale oder Delfine zu sehen. Gestern hat der Kapitän einen Wal gesehen. Ich schaue oft übers Meer, aber keiner der Meeressäuger zeigt sich. Pierre meint, dass wir zu weit von der Küste entfernt sind. Er sagt, dass die Fische, die den Delfinen als Nahrung dienen, eher in der Nähe der Küste sind. Ich sehe seine Argumentation skeptisch. Denn warum sollten die Fische an der Küste zahlreicher sein? Und schließlich wurden ja Meeressäuger von unserem Schiff aus, fernab vom Land gesichtet.
Pierre und ich sind in manchen Dingen nicht einer Meinung. Politisch stehen wir auf unterschiedlichen Seiten des politischen Spektrums, allerdings beide nicht weit von der Mitte. Mit diesem Unterschied können wir aber beide gut leben.
Etwas schwieriger wird es beim Feminismus. Beim Mittagessen sprechen wir über die Rolle von Frauen in der Schifffahrt. Der Kapitän erzählt, dass in Südafrika oft Frauen als Lotsen und Schlepperkapitäne eingesetzt werden. Er findet es furchtbar – nicht, weil es Frauen sind, sondern weil sie so schlecht ausgebildet sind. Ein Lotse oder Schlepperkapitän muss mit Schiffen umgehen können. Die Südafrikanerinnen können es nicht. Sie machen irgendeine theoretische Ausbildung und dann wird ihnen dieser Jobs gegeben wegen Gleichberechtigung und affirmative Action.
Ich kann seine Argumentation nachvollziehen. Ich finde es auch gefährlich, schlecht ausgebildeten Frauen einen Job zu geben, nur weil sie Frauen sind und eine bestimmte Hautfarbe haben. Nicht nur, weil es in der Schifffahrt um Waren im Wert von Millionen, Menschenleben und potenziellen Umweltkatastrophen geht. Das ist ungerecht besser ausgebildeten Männern gegenüber. Unserer Meinung nach, sollte ein Lotse oder eine Lotsin eine mehrjährige Ausbildung auf einem Schiff haben, vielleicht erster oder zweiter Offizier werden und dann umsatteln. Da sind wir alle d’accord.
Wo wir auch alle einer Meinung sind, ist die Tatsache, dass es Arbeiten gibt, die Männer besser machen können. Die Lines Men, z. B. die Schiffe im Hafen vertäuen, brauchen sehr viel körperliche Kraft um die dicken, schweren Seile, die auch noch mit Wasser vollgesogen sind, die Kaimauer hochzuziehen und über einen Poller zu legen. Die wenigsten Häfen haben mobile Winden, in den meisten wird diese Arbeit mit Muskelkraft erledigt.
Frauen haben vielleicht nicht die Muskelkraft von Männern, aber warum sollten sie nicht Schiffsoffizierinnen oder Lotsinnen werden? Ja, Lotsen müssen fit sein. Es ist nicht immer einfach, von einem Lotsenboot auf ein Schiff zu steigen. Übergewichtige Menschen haben da echte Probleme. Aber das gilt auch für männliche Lotsen. Warum sollte eine fitte Frau, mit der richtigen Ausbildung, nicht Lotsin werden? Warum durchlaufen die Frauen nicht Ausbildung, z. B. als Offizierin in der Handelsmarine?
Daraufhin frage ich, wie viele Frauen Offizierin in der Handelsmarine werden. Die Antwort ist: so gut wie keine. Ja, es kommt vor, aber das sind absolute Ausnahmen. Der Grund dafür ist, dass dieser Beruf nicht mit einem Kinderwunsch vereinbart werden kann. Zwar könnte ich mit ein wenig Kreativität Szenarien ausmalen, wo man Frauen in der Handelsmarine die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern könnte, aber auch ich sehe, dass es schwierig ist.
Pierre will gar nicht dran denken, dass es Offizierinnen und Lotsinnen geben könnte. Ausnahmen – ja, aber sowas wie 20 % aller Offiziere in der Handelsmarine, die weiblich sind – never ever! (von 50 % ganz zu schweigen). Das geht nicht! Frauen wollen Kinder! Frauen wollen Teilzeit arbeiten! Er spricht von weiblichen Hormonen, die es Frauen unmöglich machen würden, eine Karriere in der Schifffahrt zu machen.
Um ihn anzustacheln, sage ich, dass Frauen doch nur Teilzeit arbeiten und sich um die Familie kümmern, weil die Männer es nicht täten. Warum könnte der Ehemann der Offizierin nicht zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern, während sie an ihrer Karriere arbeitet, um Kapitänin zu werden? Nein, sagt Pierre. Es sind die Männer, die in die Welt fahren und die Frauen sind die, die zu Hause bleiben. Das ist so. Es ist fast wie ein Naturgesetz.
Ach wirklich? Ich will jetzt nicht von patriarchalen Strukturen anfangen, dass den Frauen ihre Rolle als Zuhause bleibende aufdrückt. Vielleicht wollen Frauen auch raus und die Welt entdecken, aber ihre Umgebung lässt es nicht zu. Vielleicht glauben sie es selbst nicht, dass sie das können.
Ich überlege, ob ich dem Gespräch eine andere Richtung geben könnte, indem ich die Variable Kinder aus der Gleichung nehme. Was von den Frauen, die keine Kinder wollen? Die gibt es, Hormone hin, Hormone her. Es muss doch ein paar mehr geben, als die paar Ausnahmen? Die totale Gleichberechtigung ist vielleicht Illusion, aber ich kann mir schon vorstellen, dass es mehr Frauen gibt, die zur See fahren und dabei auch Karriere machen wollen. Welche Chancen haben sie in der Seefahrt? Welche Hindernisse stehen ihnen im Weg? Aber das Mittagessen ist vorbei.
Am Ende muss ich zugeben, dass Frauen, die Kinder haben und sich um diese sorgen wollen, nicht alles werden können. Sie können z. B. nicht Kapitän eines Frachtschiffs werden. Familie und Beruf lässt sich manchmal nicht vereinen.
Pierre und ich sind also nicht immer einer Meinung, aber in vielen Dingen schon. Außerdem haben wir viele gemeinsame Interessen und teilen eine Neugier. So kommen wir trotz unserer Differenzen gut miteinander klar und wenn wir uns streiten, haben wir zumindest interessante Gespräche.
Am Abend liegen wir etwa auf demselben Breitengrad wie Gibraltar. Gibraltar ist zwar 680 km östlich von uns, aber für mich ist das der Punkt, wo wir Europa hinter uns lassen und Afrika erreichen.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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