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Mein Gehirn hat sich an die Dünung und an das Rollen des Schiffes gewöhnt. Heute empfinde ich kaum noch Übelkeit. Ich habe sogar auf die Wellen geschaut, um zu sehen, ob sie weniger hoch sind, aber ich würde sagen, sie sind immer noch bei drei bis vier Meter. Nur der Wind ist nicht mehr so stark.
Beim Schlafen, vor allem wenn man auf der Seite schläft, wie ich es gerne tue, ist das Schaukeln von rechts nach links lästig. Wenn das Schiff in seine schrägste Lage geht, wird der Körper mit gerollt. Aber wenn ich auf dem Rücken liege, merke ich kaum was vom Effekt.
Der Sonnenaufgang ist heute wunderschön. Es gibt ein paar Wolken, die in Orange und Pink leuchten. Dort, wo das Licht auf dem Wasser spiegelt, ist es, als ob goldene Flocken auf dem Meer schwimmen. Ich stehe eine Weile auf dem Balkon der Brücke und fotografiere.
Das Schiff wird zwar per Autopilot gesteuert, aber das heißt nicht, dass die Crew auf der Brücke nicht aufpassen muss. Als wir uns der Küste nähern, treffen wir hin und wieder kleine spanische Fischerboote, die einfach quer über die Frachtschiffautobahn fahren. Nachts ist es besonders gefährlich, weil diese Boote nicht beleuchtet sind und von uns nur auf dem Radar gesehen werden können. Die kleinen Schiffe haben wohl keinen Radar, um uns zu sehen oder sie vertrauen einfach darauf, dass wir sie sehen und sie nicht überfahren. Der größte Teil der Bright Sky ist nachts ja dunkel. Jedenfalls – egal ob die Fischer uns sehen oder nicht – sie verändern ihren Kurs nicht. Das muss dann die Crew auf der Brücke machen.
Die Aufgabe der Brücken–Crew ist also, den Radarschirm zu beobachten und eventuelle Hindernisse zu umfahren. Tagsüber schauen sie sich jedes Schiff auf dem Radar mit einem Fernglas an.
Nach dem Sonnenaufgang, nachdem die goldenen Flocken auf dem Wasser silbern werden, sage ich auf der Brücke Bescheid, dass ich zum Bug des Schiffes gehen will. Bei schlechtem Wetter kann der diensthabende Offizier ein Veto einlegen, wenn er sich Sorgen um meine Sicherheit macht. Und ich muss bei der Brücke immer Bescheid geben, wenn ich zurückgekehrt bin. Das ist keine übertriebene Kontrolle, sondern ein einfacher Sicherheitsmechanismus.
Die großen Wellen haben bis aufs Upper Deck gespritzt. Von der Wasserlinie bis zum Upper Deck ist es mindestens 4,60 m und es zeigt, dass die Wellen doch noch recht hoch sind. Vom Upper Deck kann ich auch viel einfacher die Höhe der Wellen abschätzen, weil ich eher auf ihrer Höhe bin, als 12 m über ihnen. Aber es ist trotzdem relativ trocken.
Ich gehe an all den Frachträumen vorbei. Ihre Seitenwände ragen noch mehr als zwei Meter über das Upper Deck heraus.
Auf den vorderen Frachträumen sind entweder Container oder LKWs geladen. Da wir ja selbst auch einen Container nach Namibia transportieren lassen wollen, achte ich darauf, wie diese gesichert wurden. Da sind erstmal diese Sicherheitsmechanismen, die oben an den vier Ecken der Container angebracht werden, bevor ein weiterer obendrauf getan wird. Mit einem Hebel kann man sie befestigen oder lösen.
Dann werden Container noch mit diagonal verlaufenden Stangen an die Container darunter oder an Ösen am Deck gesichert. Das geschieht hier nur für die untersten zwei Lagen. Darüber ist nur eine diagonale Stange welche die beiden letzten Container einer Reihe – also ganz rechts und ganz links – mit dem Container darunter verbunden, sonst ist allein die Ecksicherung für die Befestigung der Container verantwortlich. Pierre meint aber, dass das hält. Die Container, die nicht mit Stangen gesichert werden, sind leere Kühlcontainer, also sehr leichte Container. Bis jetzt hat es auch gehalten und das Wetter soll nur besser werden.
In einem Container poltert es ziemlich laut. Das höre ich bis zu mir in die Kabine, wenn das Fenster offen ist. Keine Ahnung, was drinnen los ist. Vielleicht wurde die Ladung nicht gut genug gesichert.
Das Licht von dem einen Lastwagen auf den vorderen Frachträumen ist immer noch an.
Ganz vorne, an der Spitze des Schiffes, gibt es zwei Decks. Auf dem unteren Deck befinden sich die Anker– und Seilwinden. Es ist zum Schiff hin offen, aber zur Spitze hin bis auf ein paar Schlitze geschlossen. So haben die Seeleute, die dort arbeiten müssen, einen geschützten Raum. Darüber liegt noch ein Deck, das über eine Leiter erreichbar ist. Die Luke nach oben ist aber noch verschlossen. Der Kapitän will sie öffnen lassen, sobald das Wetter besser ist. Dann kann man bis zur äußersten Spitze des Schiffes gehen und, wie Leo und Kate auf der Titanic, fliegen.
Es ist vorne sehr ruhig. Die Schiffsmaschine ist nicht mehr zu hören, sondern nur noch das Rauschen des Meeres, wenn es vom Schiff zerschnitten wird.
Zurück in meiner Kabine mache ich mir Kaffee und Tee für den Tag. Mein Thermobecher für Kaffee und meine Thermoskanne für Tee ist Gold wert. Allerdings müssen sie unzerbrechlich sein. Zu schnell kippen sie bei starkem Rollen um.
Robert kommt vorbei und leert den Mülleimer. Er gibt mir auch eine Paste in einem wasserlöslichen Kunststoffmantel. Ich soll das als Ganzes in die Toilette tun. Nach fünf Minuten hat sich alles aufgelöst und wird weggespült. Das ist wie Rohrfrei. Dann gibt es noch eine Flasche mit einer Flüssigkeit, wovon ich jede Woche etwas die Toilette geben soll. Das dient dem biologischen Abbau von dem, was so allgemein die Toilette heruntergespült wird.
Überhaupt die Toiletten … Sie sind eine Mischung aus WC, wie man es so kennt und Flugzeugtoilette. D. h. wenn man den Abzug betätigt, wird alles, was in der Schüssel ist, per Vakuumsog sonst wohin befördert. Dann läuft aber ein wenig Wasser nach.
Zum Mittagessen spendiert Pierre mir ein Glas KWV Shiraz. Als Winzer und Weinkenner ist sein Urteil “sehr gut für einen so billigen Wein” und “genau das Richtige für das Mittagessen”.
Wir haben inzwischen die Biskaya hinter uns gebracht und befinden uns auf N43° 56.404′ W10° 09.501′, etwa 115 km nordwestlich des nächsten Punktes auf dem spanischen Festland. Bald werden wir den Kurs auf weiter südlich ändern. Wir umfahren Spanien und Portugal also weitläufig. Das nächste Land, das wir sehen werden, werden die kanarischen Inseln sein.
Am Abend muss ich an die Menschen denken, die vor meiner Abreise gefragt haben:
“Wirst du dich nicht langweilen?”
Was für eine absurde Frage!
Warum sollte ich mich langweilen?
Es gibt so viel zu tun!
Ich bin neugierig. Ich will wissen. Hier auf dem Schiff ertappe ich mich öfters, dass ich den Browser öffnen und irgendwas googeln möchte. Das funktioniert nicht. Oder, um genauer zu sein: es geht, aber es kostet. Deshalb muss ich andere Wege finden, Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Entweder frage ich jemanden, der es wissen könnte – Pierre oder der Kapitän sind gute Kandidaten. Oder ich muss es einfach selbst untersuchen, wie bei der Frage, was hoher Seegang mit dem Körper macht. Die Antwort ist: Man wird seekrank, aber irgendwann (bei mir nach 24 Stunden) kann das Gehirn mit den andauernden Schwankungen in der Erdanziehungskraft und der sich immer wiederkehrenden Verschiebung von oben und unten umgehen. Dann ist die Seekrankheit weg.
Dann gehe ich meiner Kreativität nach und fotografiere, bearbeite Fotos und schreibe. Für die Bildbearbeitung lerne ich ein neues Programm. Vor der Abreise habe ich mir YouTube–Videos dazu auf den Rechner geladen und schaue sie mir eins nach dem anderen an. Zwischendurch probiere ich das Erlernte aus.
Wenn immer ich entspannen möchte, lese ich das Buch von Scott Kelly weiter.
Und dann ist da das Erleben. Das Leben hier auf der Bright Sky ist einfach. Es gibt das Meer, den Himmel und das Schiff und natürlich die Menschen auf dem Schiff, wovon ich die meisten gar nicht sehe.
Wenn ich die Mannschaft außen vor lasse, bleibt das Schiff, der Himmel und das Meer. Und wenn ich es nur auf Himmel und Meer beschränke, habe ich schon eine Menge zu erleben. Himmel und Meer ändern sich ständig, so wie die Sonne über den Himmel zieht und das Licht sich verändert. Die Farbe des Meeres ändert sich. Wir sind jetzt nicht mehr auf der Nordsee, sondern auf dem Atlantik, über 100 km vom nächsten Land entfernt. Das Meer ist tiefer, seine Farbe dunkler.
Ich brauche also keine Animation oder Bespaßung, kein Fernsehen, keine Zerstreuung. Ich habe gar keine Zeit für all das.
Der Sonnenuntergang ist heute wenig spektakulär. Es gibt zwar Wolken, aber sie bedecken eher die Sonne, als dass sie sich von ihr erleuchten lassen. Oben auf der Brücke bläst auch ein starker, kalter Wind.
Es ist Nacht. Wir befinden uns im Augenblick auf N41° 52.439′ W11° 01.811′, 177 km vom Festland entfernt.
Jetzt ist die Bright Sky allein auf dem Ozean. Ein einziges Schiff habe ich noch gesehen oder vielmehr den Mast am Horizont. Die Möwen, die uns am Anfang noch begleitet haben, sind nicht mehr dabei. Wir sind zu weit vom Festland entfernt.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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