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Eine Ode an Kranführer und Dockarbeiter
Der Zeitplan hat sich nach hinten verschoben wegen der LKWs, auf denen LKWs geladen sind, auf denen Autos geladen sind. Es ist schwierig sie mit dem Kran aufs Schiff zu bringen und zu sichern. Statt 14:00 Uhr, soll es um 20:00 Uhr losgehen.
Ich schaue um 7:00 Uhr aus dem Fenster. Draußen spielen sich (für mich) außerordentliche Dinge ab: Auf die Stahlplatten im Frachtraum werden LKWs montiert. Richtige, große LKWs und die dazugehören Tanks oder anderen Aufleger. Die Kranführer in diesem Hafen verdienen meinen höchsten Respekt. Sicher und bis auf den Zentimeter genau, können sie einen LKW vom Kai bis in den Frachtraum bringen, ohne dass sie irgendwo anstoßen oder etwas zerkratzen. Selbst die letzten Millimeter nach unten sind sehr kontrolliert. Ganz sanft wird der LKW abgesetzt. Die Stoßdämpfer der Wagen gehen kaum merklich in die Knie.
Die vorderen Frachträume wurden schon in der Nacht geschlossen. Ein Container nach dem anderen wird obendrauf gestellt, drei oder vier Lagen hoch.
Am Vormittag gehe ich auf den Balkon der Brücke. Draußen liegt Schnee, es ist recht rutschig. Ich schaue dem Treiben auf dem Dock zu.
Im Mittelpunkt alles Ladegeschehens steht immer ein Kran. Er ist der tanzende Riese, der 439 t wiegt und bis zu 144 t mit einer Geschwindigkeit von 120 m/min heben und senken kann (sagt mir die Website von Liebherr, dem Hersteller). Der Kran steht auf einem Unterbau, der durch 80 Räder mit LKW–Bereifung dem Kran eine Mobilität in alle Richtungen verleiht. Die Räder sind nicht, wie wir es von Autos kennen, an Achsen quer unter dem Unterbau des Krans angebracht, sondern jeweils in Gruppen von vier Rädern so an dem Unterbau montiert, dass sich jede Gruppe in alle Richtungen bewegen kann – ähnlich wie die Räder an einem Einkaufswagen von Aldi oder Rewe. So kann der Kran sich, anders als ein Auto, in alle Richtungen fahren: nach vorne und hinten, aber auch zur Seite oder schräg. Zehn Vierergruppen sind auf jeder Seite des Krans angebracht.
Wenn der Kran seine Arbeit verrichten muss, wird er von einer X–förmigen Abstützbasis fest auf dem Dock abgestützt.
Ein solcher Kran ist vielfältig einsetzbar: von Containern, über Schwerlasten bis hin zu Schüttgut können mit ihm bewegt werden. Eine ausgeklügelte Technik ermöglicht es dem Kranführer seine Lasten schwingungsfrei zu befördern und abzusetzen.
In der Nähe des Krans steht ein kleines gelbes Häuschen, welches den Dockarbeitern als Schutzhütte dient, während sie darauf warten, dass ihre Kollegen, die oben auf dem Schiff den Kran von seiner Last befreien, fertig werden. Jetzt, wo wir Temperaturen um den Gefrierpunkt haben, haben sich die Arbeiter in einem Ölfass, das zur besseren Ventilation mit Löchern versehen wurde, ein Feuer angezündet. Darin werden alte Bretter verbrannt. Oft stehen sie beim Fass, meistens nur ein paar Sekunden, um sich zu wärmen.
Zu jedem Kran gibt es zwei Teams von Männern: Das Team auf dem Dock hängt LKWs an den Kran. Als Nächstes hebt der Kranführer den LKW aufs Schiff und setzt ihn präzise ab. Auf dem Schiff gibt es einen Mann, der dem Kranführer per Handzeichen oder per Funk genau signalisiert, ob dieser nach vorne oder hinten, bzw. rechts oder links schwenken soll.
Wenn der LKW an seiner vorgesehenen Stelle steht, löst das zweite Team auf dem Schiff die Halterung und fängt sofort an, das Auto mit dicken Ketten zu fixieren. Derweil lenkt der Kranführer sein Gerät zurück zum Dock und die nächste Runde kann beginnen.
Bei Container braucht es kein Team auf dem Dock. Der Kranführer kann den Greifer selbst einrasten. Container werden auf unserem Schiff noch auf die alte Art und Weise miteinander verbunden: Hafenarbeiter bringen Sicherungsmechanismen oben an Containerecken an. Dann wird ein weiterer Container oben heraufgesetzt und der Sicherheitsmechanismus rastet ein. Die Hafenarbeiter brauchen nicht irgendwie an den Containern hochzuklettern. Wenn sie eine Lage Container mit den Mechanismen versehen haben, bringt der Kran sie hoch auf die nächste Lage, die er inzwischen angefangen hat zu stapeln.
Als Nächstes werden die Container mit diagonalen Stangen mit dem Container darunter verbunden. Das geht aber nur für die untersten Lagen. Wenn die Container mehr als zwei Lagen gestapelt werden, kommen die Stangen nicht mehr in den Einsatz.
Hinter dem Verladen mit dem Kran steht natürlich noch eine erweiterte Logistik. Die zu verladende Ware muss zum Dock gebracht werden. Die LKWs werden einfach bis unter dem Kran gefahren. Container und anderes Gut wird von Gabelstaplern in allen Größen oder LKWs gebracht.
Das Ganze ist wie ein komplizierter Tanz im Umkreis von 500 m um das Schiff. Alles ist immer in Bewegung. Außer in den Kaffeepausen und beim Schichtwechsel herrscht nie Stillstand. Es wird rund um die Uhr gearbeitet, auch am Wochenende, Tag und Nacht, in drei Schichten.
Am Vormittag ist auch der Frachtraum vor meinem Fenster voll und die Luke wird geschlossen. Dann werden weitere LKWs obendrauf gehievt und sorgfältig mit Ketten fixiert. Zum Mittagessen sind die Dockarbeiter auch damit fertig. Der Kran verlässt mit lauten Piepsen unsere Anlegestelle. Ein Gabelstapler mit der Schutzhütte der Hafenarbeiter und ein weiterer mit der dazugehörigen Feuertonne folgten im Schlepptau.
Jetzt, nach dem Mittagessen, ist nur noch einer von den drei Kränen hier bei uns. Er verlädt Container auf den vorletzten Frachtraum.
Nach dem Laden ist ein weiteres Team von Männern unterwegs, die die Ladungssicherung kontrollieren. Sitzen die Ketten, die die LKWs am Schiff befestigen, stramm? Ist die Containersicherung eingerastet? Nichts darf bei heftigem Seegang verrutschen.
Die Seeleute sind am Rande mit der ganzen Verladung involviert. Sie öffnen die Frachtraumklappen und unterstützen die Dockarbeiter, wenn nötig. Das heißt aber nicht, dass die Mannschaft nicht auch ent– und beladen könnten. In kleineren Häfen müssen sie oft mit den schiffs-eigenen Kränen Ladung von und zum Schiff bringen. Hier, in Antwerpen, wird aber alles vertrauensvoll in die Hände der Hafenarbeiter gelegt.
Gestern kam der Chief Engineer mit ganz kleinen Augen zum Frühstück. Er hatte in der Nacht zuvor kaum geschlafen, weil die Firma, die den Treibstoff liefert, dies um 3:00 Uhr in der Frühe getan hat. Das Bunkern von Diesel und Öl liegt in der Verantwortung des Chief Engineers. Der Kapitän war irritiert. Es ist nicht normal, dass mitten in der Nacht Treibstoff geliefert wird. Wollte da jemand die Müdigkeit der Seeleute ausnutzen und uns übers Ohr hauen? Eine Möglichkeit wäre z. B. weniger in die Tanks zu füllen, aber einen vollen Tank abzurechnen. Der Chief Engineer hatte sich das auch gedacht und war wachsam gewesen. Alles war korrekt abgelaufen.
Das Beladen der Bright Sky ist um 15:30 beendet. Der Kran fährt auf seinen 80 Rädern weiter zu einem anderen Dock und anderem Schiff. Zwei Gabelstapler nehmen das gelbe Schutzhäuschen und die Feuertonne auf und fahren hinter dem Kran her. Es ist noch lange nicht Feierabend für die Dockarbeiter. Hier, bei uns, ist eine wohltuende Ruhe eingetreten.
Das große Areal, wo alles, was aufs Schiff musste, zwischengelagert wurde, ist fast leer. Eine LKW–große Schraube und ein paar Kabelrollen stehen noch rum. Aber die sind für Valparaiso, Chile bestimmt, nicht fürs südliche Afrika.
Es wird plötzlich entspannt an Bord, ja geradezu ruhig. Die Seeleute ziehen noch ein paar Sachen mit einem Schiffskran an Bord und verzurren andere. Ich lege mich aufs Bett und lese in dem Buch von Sean Kelly weiter.
Wenn ich über den Raumfahrer Sean Kelly nachdenke, muss ich wieder an die portugiesischen Seefahrer von vor etwas mehr als 500 Jahren denken. Sie suchten einen Weg um Afrika, immer vorsichtig, immer in Angst vor Drachen hinter dem nächsten Horizont. Oft kehrten sie zurück, weil sie sich nicht weiter trauten. Dann aber kam aber der nächste Seefahrer und fuhr weiter. Nach Diego Cão, dessen Schiff als Erstes die Küste Namibias erreichte, kam Bartholomäus Diaz, der die den südlichsten Punkt Afrikas umrundete. Nach Diaz kam Vasco da Gama, der endlich Indien erreichte. Jeder Entdecker fuhr weiter und erweiterte so die Grenzen des Wissens von der Welt. Raumfahrer heute, sind das, was die Seefahrer damals waren. Auch sie erweitern die Grenzen des Wissens, um eines Tages zum Mars und noch weiter fahren zu können.
Mit dieser Reise folge ich auch dem Weg, der portugiesischen Seefahrer vor vielen hundert Jahren entdeckt haben. Weil sie damals die Grenzen des Bekannten und Machbaren erweiterten, kann ich heute mit der Bright Sky nach Walvis Bay fahren.
Zum Abendessen gibt es eine ausgezeichnete Pizza. Zum ersten Mal in einer Woche ist die Offiziersmesse gefüllt. Erstens gibt es Pizza und zweitens haben alle nun auch Zeit, etwas zu essen. Der nette Cargo Agent von MACS, seine Aufgabe getan, verabschiedet sich von uns. Ich bedanke mich für die guten Gespräche, er auch.
Ich dusche mich nochmal um 19:30 Uhr. Auf einem schwankenden Schiff, so stelle ich es mir vor, ist Duschen bestimmt nicht ganz so einfach und komfortabel, wie in ruhigen Gewässern. Morgen geht es Richtung Ärmelkanal, danach in die Biskaya, die für ihre Stürme berüchtigt ist. Von 4 m Wellen war heute die Rede.
Berendrechtsluis
Ich komme kurz vor acht auf die Brücke. Der Lotse ist schon an Bord. Die Lines Men stehen an den Pollern, um die Leinen des Schiffes loszumachen. Auf dem rechten Balkon der Bright Sky ist die Konsole, mit der der Chief Officer das Schiff von der Kaimauer weg steuert, geöffnet. Pierre ist auch schon da.
Nur ein Schlepper macht an der Bright Sky fest. Mehr ist nicht nötig, denn das Schiff wird nicht im Churchilldok wenden, sondern rückwärts herausfahren und dann nur 90 Grad in die Schelde hineindrehen, um dann geradeaus nach vorne zu fahren.
Wir legen pünktlich ab. Alles verläuft ruhig und völlig unaufgeregt. Erst entfernen wir uns seitwärts vom Dock. Dann geht es ein paar hundert Meter, gezogen von dem Schlepper rückwärts, dann sind wir im Kanal und fahren langsam Richtung Berendrechtsluis.
Die Schleuse kommt einem, wenn bei einem so großen Schiff sehr schmal vor. Sie ist aber, laut Lotse 68 m breit und 500 m lang. Die Einfahrt ist knifflig, weil sie direkt hinter einer fast 90–Grad–Kurve liegt. Schon vor der Kurve wird die Geschwindigkeit gedrosselt. Der Schlepper, der uns immer noch begleitet, bremst uns ab, indem er mit voller Kraft rückwärtsfährt. Wir fahren zwar sehr langsam, aber ein so schweres Schiff baut doch einiges an Momentum auf. Langsam, ganz langsam geht es in die Schleuse rein. Einmal denke ich, dass wir es nicht schaffen werden, rechtzeitig anzuhalten, weil wir nicht zum Stillstand kommen. Aber dann steht die Bright Sky still und Lines Men vertäuen uns. Der Schlepper verlässt uns. Eine Barge, von der Größe derer, die auf dem Rhein fahren, folgt uns und passt auch noch locker hinein.
Es dauert vielleicht eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten, da hat die Schleuse uns um ein paar Meter abgesenkt und es kann weitergehen.
Kurz danach verlasse ich die Brücke. Ich verabschiede mich von allen WhatsApp–Gruppen, die das Auslaufen und die Einfahrt in die Schleuse verfolgt haben. Vielleicht gibt es in den nächsten Tagen noch Mobilfunkempfang, vielleicht aber auch nicht. Wenn, dann werde ich mich nochmal bei ihnen melden, wenn nicht, müssen sie warten, bis wir die Kanarischen Inseln erreichen.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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