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Die Wellen sehen zwar genauso hoch aus, wie letzten Sonntag auf der Nordsee, aber die Bright Sky fährt ruhig auf dem Wasser. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir so schwer geladen sind.
Um 7:00 Uhr liegen wir kurz vor Calais. Erst gibt es französischen, dann englischen Mobilfunk. So kann ich allen WhatsApp–Gruppen noch Grüße rüberschicken. Ich telefoniere sogar ein paar Minuten mit Anita.
England gibt sich sehr wolkenverhangen. Die White Cliffs of Dover sind nicht zu sehen. Es ist kalt – –1°Celsius – und recht nass. Aber nach dem Frühstück hört es auf zu regnen. Über Frankreich geht die Sonne auf und ich kann das Festland sehen.
Das orange Licht des Sonnenaufgangs in Kombination mit den blaugrünen Wellen des Ozeans ergeben eine wunderschöne Aussicht. Manchmal bricht die Sonne durch die Wolken und hellt das Meer auf.
Es hat viel Verkehr auf dem Ärmelkanal. Containerschiffe, Fähren, Frachtschiffe, aber auch kleine Boote fahren überall um uns herum. Pierre und ich glauben beide, mal irgendwo gelesen zu haben, dass der Ärmelkanal, nach der Straße von Malakka, die am meisten befahrene Seestraße auf unserem Globus ist.
Ich stehe auf der Brücke und schaue dem Naturschauspiel zu. Ich könnte stundenlang gucken, aber es ist kalt. “Noch fünf Minuten!”, sage ich mir und danach: “Noch ein paar Minuten, bis wir an dem Schiff vorbei sind.” Aber dann wird es, trotz Fleece– und Winterjacke zu kalt.
Der Tag ist sehr entspannt. Die Seeleute haben heute frei, außer die, die nicht freihaben können, wie die Besatzung auf der Brücke, der Koch und der Steward.
Obwohl es inzwischen keinen Mobilfunkempfang mehr gibt, nutze ich immer noch das Smartphone. Ich habe zwei Apps laufen. Die eine heißt Maverick und mit der kann ich unseren Weg aufzeichnen. Außerdem kann ich sehen, auf welchem Längen– und Breitengrad wir gerade sind, in welche Richtung wir fahren und wie schnell wir uns fortbewegen. Ich stelle die Geschwindigkeitseinheit auf Knoten um. Schließlich halte ich mich auf einem Schiff auf. Die andere App ist Maps.me. Sie zeigt mir meine Position auf einer Karte. Dabei brauche ich natürlich nicht in die Details zu gehen, sondern ich zoome gerade so weit raus, dass es mir Land anzeigt und sehe so, wo wir auf dem Ärmelkanal sind.
Dank Maverick weiß ich, dass wir im Augenblick eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 Knoten haben und in fast 11 Stunden 220 km weit gekommen sind.
Ab und zu schaue ich aus dem Fenster. Wie sehen die Wellen aus? Wie ist das Wetter? Gibt es was Interessantes zu sehen? Das sind die wichtigsten Fragen.
Etwas Interessantes gibt es immer wieder mal zu sehen. Zuerst beobachte ich die Schiffe, von denen eine Menge auf dem Ärmelkanal fahren. Ein großes Containerschiff überholt uns. Es fährt ein paar Knoten schneller als wir.
Dann fahren wir an einer Ölplattform, die ganz langsam von zwei Schiffen über den Ärmelkanal gezogen wird, vorbei. Wir sind hier nicht mehr auf der Nordsee, aber da ist sie, die Ölplattform. Pierre und ich spekulieren, dass sie irgendwohin zur Reparatur gebracht wird.
Dann sehe ich eine Taube, die auf dem Schiff landet und bei den LKWs vor meinem Fenster herumspaziert. Wir sind mehr als 20 km vom nächsten Land entfernt. Hoffentlich schafft sie es nach Hause.
Schließlich gibt es noch die Meereslandschaft: Das Meer, das je nach Beleuchtung seine Farbe ändert, die Wolken und das Licht.
Jetzt ist es Abend. Das Festland ist weit entfernt. Wir liegen in der Mitte des Ärmelkanals, bei N50° 13.339′ W1° 35.689′, nördlich von Cherbourg und südlich von Southampton. Bald wird der Kanal noch breiter und dann gibt es wohl gar keinen Mobilfunkempfang mehr. Morgen werden wir die Biskaya erreichen.
Ich habe aber Zugang zu einer weiteren Art der Kommunikation bekommen: das E–Mail–Netz der Mannschaft. Es gibt unten, im Büro, ein Rechner, der einzige Rechner, bei dem es möglich ist, und der von allen benutzt wird, auf dem ein E–Mail–Programm eingerichtet ist. Dort habe ich mein eigenes Login und Passwort und kann E–Mails senden und empfangen. Alle 20 Minuten findet der Versand und Empfang per Satellit statt. Es ist also nicht so unmittelbar wie gewohnt, aber es ist normales E–Mail. Das einzige Problem ist, dass die Tastatur eine englische ist. Es fehlen die Umlaute und Eszett und das Z und Y sind vertauscht.
Jetzt, wo der Ärmelkanal breiter wird, ist der Seegang auch stärker. Das Schiff schaukelt mehr, aber bei mir ist alles im grünen Bereich. Nur komme ich mir manchmal torklig vor.
Ich werde heute früher zu Bett gehen und noch lesen. Obwohl ich ein Mittagsschläfchen gemacht habe, bin ich müde. Wahrscheinlich holt mich jetzt die Anstrengung der ersten Januarhälfte und all die Aufregung in Antwerpen ein.
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Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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