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Den letzten Schritt, den ich auf europäischen Boden gehe, ist von der grauen, rissigen Zementplatte des Churchilldok in Antwerpen auf die gelbe unterste Platte der Gangway der Bright Sky.
Beim Frühstück frage ich den Kapitän, ob ich aufs Dock gehen könnte, um die Ladeaktion zu fotografieren. Er macht keine Einwände. Der Cargo Agent von MACS ist auch beim Frühstück dabei und meint, ich solle lieber so schnell wie möglich gehen, denn für zwei Stunden später sei heftiger Schneefall vorhergesagt worden. Und richtig, als ich aus dem Fenster schaue, fallen die ersten Flocken. Obwohl das Licht noch nicht optimal ist, entscheide ich mich, auf das Dock zu gehen und zu fotografieren.
Während verladen wird, muss ich auf dem Dock unglaublich aufpassen. Mehrere Kräne sind in Aktion und heben sehr schwere Dinge aufs Schiff. Gabelstapler und Traktoren fahren mit Nachschub umher.
Ich laufe einmal in einem Halbkreis ums Schiff und fotografiere die ganze Action. Dann schaue ich mir die bereitgestellten Güter an. Eine ganze Reihe von LKWs aus England und Irland stehen da rum, alle mit einem Aufkleber, der Auskunft gibt, dass sie nach Walvis Bay gehen. Eigentlich hat Namibia ja ein Gesetz, nach dem keine Fahrzeuge älter als 10 Jahre eingeführt werden dürfen. Hier aber gibt es echte Oldtimer. Viele der Autos sind, in meinen Augen, nicht mehr fahrtauglich. Mich graust davor, wenn sie auf den Straßen Namibias losgelassen werden.
Der Kapitän hatte sich am Morgen darüber geärgert, dass die Verschiffer Platz für ein Auto auf dem Schiff buchen, dann aber mehrere Fahrzeuge liefern. Auf einem großen LKW befindet sich ein kleinerer LKW, auf dem sich ein Sprinter befindet, in dem dann noch schwere Maschinen geladen sind. Diese Konstruktionen sind zwar fest miteinander verzurrt aber dennoch instabil und nur schwierig und mit Zeitaufwand zu laden und zu fixieren. Hier sehe ich nun auch solche Autostapel.
Dann mache ich meinen letzten Schritt auf europäischen Boden, gehe die Gangway hoch und zurück aufs Schiff.
Im Augenblick bin ich tagsüber mit zwei Dingen beschäftigt; manchmal gleichzeitig: Fotografieren und die Kameras für die nächste Aktion vorbereiten, sprich Speicherkarten auf den Rechner kopieren und Akkus laden. Zum Anschauen, geschweige denn die Bearbeitung der Fotos komme ich nicht. Später muss Zeit dafür sein.
Beim Mittagessen befrage ich den Cargo Manager von MACS weiter wegen der Ladung. In dem Frachtraum direkt vor meinem Fenster waren in der Nacht Kabelrollen verladen worden. Sie bedecken gerade den Boden des riesigen Frachtraums. Er sagt mir, dass eine der Rollen im Durchschnitt 12 Tonnen wiegt und einen Durchschnittspreis eines Kleinwagens hat: 18 000 €. Es handelt sich um fertig gebündelte Kabel für Autos.
Nachmittags gehe ich auf die Brücke und fotografiere und filme, wie die LKWs für Namibia im Schiff verladen wurden. An vier Punkten des Autos werden Ketten angebracht und dann hebt ein Kran sie einfach so in den Frachtraum. Wenn man sich die Fotos anschaut, könnte man meinen, dass Spielzeugautos verfrachtet werden. Das muss man erlebt haben, um zu wissen, wie es ist.
Zum Abendessen liegen die aktuellsten Fahrpläne von MACS aus und damit auch der von der Bright Sky. Wir werden morgen Mittag losfahren und am 17. Februar in Walvis Bay landen. Dieser Termin ist aber weiterhin ungenau. Der Kapitän sagt schon, dass er langsam durch den Ärmelkanal fahren will, um besseres Wetter in der Biskaya zu haben. Ich glaube, einen echten Landetermin werden wir erst ab dem Äquator haben.
Der Kapitän hat mir ein Buch geliehen: “Endurance” von Sean Kelly. Sean Kelly hat über ein Jahr im Weltraum auf der ISS verbracht, um die Auswirkung der Schwerelosigkeit auf Menschen zu studieren. Der Kapitän findet das Buch sehr gut und als ich erwähnte, dass ich alles, was über Raumfahrt und Astronauten handelt, interessant finde, hat er es mir mitgebracht. Einerseits hat die ISS nichts mit der Schiffsreise zu tun, aber die ISS ist ja auch ein Schiff – ein Raumschiff eben. Vielleicht ist die ISS von heute eher mit den Segelschiffen der portugiesischen Seefahrer vor 500 Jahren zu vergleichen, die aufbrachen, um den Seeweg nach Indien zu suchen und so ihren Horizont zu erweitern? Vielleicht wird die Raumfahrt der Zukunft so Routine werden, wie heute das Beladen der Bright Sky?
Am Abend wird über die Kabelrollen eine Zwischendecke eingezogen. Dann werden Stahlplatten verlegt und mit Holzklötzen gegen Verschieben gesichert.
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Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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