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Der Hafen von Antwerpen ist flächenmäßig der größte Hafen der Welt. Das sagt der Taxifahrer auf dem Weg in die Stadt und ich glaube es sofort. Es ist ein riesiges Areal von Hafenbecken und Lagerhallen. Es herrscht geschäftiges Treiben. Kräne ent– und beladen Schiffe, Container werden hin und her gebracht, LKWs fahren ein und aus. Mitten drin steht eine kleine, alte Kirche aus Backstein.
Ich bin jedenfalls froh um das Taxi, denn ich hätte mich auf dem Areal hoffnungslos verlaufen. Außerdem ist es auch ein gutes Stück bis in die Stadt. 11 Kilometer bis zum Zentrum sind zu weit für einen Spaziergang. ÖPNV wie Busse oder Straßenbahnen gibt es nicht. Im Taxi sind wir über eine halbe Stunde unterwegs. Irgendjemand im Büro des Bürgermeisters von Antwerpen hatte die grandiose Idee, alle Straßen gleichzeitig zu renovieren. Vielleicht sind auch EU–Mittel geflossen. Jedenfalls fährt man durch mehrere Baustellen, die den Verkehr stauen und die Taxifahrer zum Fluchen bringen.
Beim Frühstück habe ich gemerkt, dass die Chemie zwischen dem Kapitän und Pierre im Augenblick nicht so gut ist. Pierre stellt zu viele Fragen. Dazu kommt, dass die einzige Sprache, die wir gemeinsam haben, Englisch ist, aber für uns alle ist Englisch eine zweite Sprache. Pierre hat manchmal Probleme die Frage verständlich zu formulieren und der Kapitän muss dann so antworten, dass wir es auch verstehen. Der Kapitän sagt, dass das jetzt ein Beispiel von “the passenger asks too many questions” sei und dass er nicht alles so detailliert beantworten wolle, könne und dürfe. Die Logistik, 36000 Tonnen Fracht in ein 200 m langes und 30 m breites Schiff zu laden, ist so komplex, dass man es nicht eben mal in fünf Minuten erklären kann.
Beim Frühstück erwähne ich, dass ich gerne mal nach Antwerpen fahren würde, mir das Taxi aber zu teuer ist und es keine andere Möglichkeit wie ÖPNV gibt.
Gegen 10:00 klingelt bei mir das Telefon. Der Kapitän ist dran. Er und seine Frau würden heute um fourteen hundred in die Stadt fahren und ob ich mitkommen wolle? Ich will. Ich freue mich. So können wir die Kosten teilen.
Am Vormittag bin ich eifrig mit Fotografieren beschäftigt. Ich mache eine Zeitraffer– und Videofolge vom Entladen des Laderaums direkt vor meinem Fenster. Danach gehe ich mit meinen Kameras bis hoch zum Balkon der Brücke. Aber der Weg dahin ist nicht so einfach. Überall ist geschäftiges Treiben. Im hinteren Bereich sind auch die kleinen Schiffskräne im Gebrauch, um neue Rettungs-–Schlauchboote hoch– und Müll runter aufs Dock zu hieven. Da muss ich aufpassen, dass ich mich nicht in Gefahr bringe oder im Weg stehe.
Das Schiff wird am Ende zur vollen Kapazität geladen sein. 36 000 Tonnen hat man nicht in ein paar Stunden geladen, wenn man kein Containerschiff ist. Aber es kann nicht alles in Container verpackt werden. So werden hier im Augenblick riesige Metallplatten und Schüttgut, wie Kohle oder Anthrazit verladen.
Um 14:00 Uhr stehe ich parat und dann kommen auch schon der Kapitän und seine Gattin. Das Taxi fährt pünktlich vor und wir machen uns auf den beschwerlichen Weg in die Stadt. Es ist fast die ganze Strecke über Stopp und Go–Verkehr. Dennoch ist der Weg vergnüglich. Der Kapitän und Taxifahrer unterhalten sich über belgische Autofahrer, belgisches Bier, Fritten und Schokolade und über furchtbare Architektur und Bausünden. Ich gebe von hinten auch ab und zu meinen Senf dazu.
In Antwerpen trennen wir uns und vereinbaren, uns um 17 Uhr an derselben Bushaltestelle für die Rückfahrt zu treffen. Ich fange jetzt auch schon an, Uhrzeiten auf Seemannsart zu sagen. Anstatt “Five p.m.” ist es “Seventeen hundred”. “We will meet here at seventeen hundred.”
Ich will zwei Dinge in Antwerpen erledigen: in einen Supermarkt für ein paar Kleinigkeiten gehen und dann natürlich durch die Altstadt bummeln.
Erster Stopp: Supermarkt. Ich will nicht viel. Nur ein wenig Obst, Cola und belgische Schokolade. Dann suche ich Earl Grey Tee, aber die Belgier sind wohl keine Teetrinker. Es gibt nur normalen Schwarztee und davon haben wir auf dem Schiff genug.
Da ich Afrikaans kann, komme ich mit dem Flämischen gut klar, solange es in schriftlicher Form ist. Ich kann ohne Weiteres Schilder, Zeitungsartikel und ähnliches lesen und verstehen. Auch wenn die Belgier miteinander sprechen, verstehe ich genug, um zumindest im Groben zu wissen, worum es geht. Aber immer, wenn ich selbst versuche, mich in einem dem flämischen angepassten Afrikaans verständlich zu machen, werde ich zwar irgendwie verstanden, aber die Verkäufer wechseln dann sofort ins Englische.
Die Altstadt von Antwerpen ist wunderschön und wirklich einen Besuch wert. Im Zentrum steht die Kathedrale, drum herum die alten Häuser im flämischen Stil. Ich schlendere durch die Gassen und fotografiere.
Das Wetter spielt mit. Noch am Vormittag und auch auf dem Weg in der Stadt hatte es heftig geregnet und gegraupelt. Aber in den zweieinhalb Stunden dort, reißen die Wolken auf. Die Sonne beleuchtet die alten Bauten mit goldenem Licht. Der Himmel darüber ist blau.
Dann stehe ich vor einer belgischen Frittenbude. Belgier können drei Dinge besonders gut: Bier, Schokolade und Fritten. Schokolade habe ich schon eingekauft. Im Supermarkt habe ich auch kurz vor dem Trappisten–Bier gestanden und überlegt, ob ich eine oder zwei Flaschen mitnehmen sollte und mich dann dagegen entschieden. Nun stehe ich vor der Frittenbude. Ich bin satt vom Mittagessen, aber wer weiß, wann in meinem Leben ich mal wieder echte belgische Fritten essen werde? Ich versuche es nochmal mit meinem flämischen Afrikaans und bestelle “Friet klein met Mayonnaise asseblief” – da kann man ja nicht viel falsch machen – aber die Verkäuferin schaltet sofort auf Englisch um. So weit zu Anettes Versuchen sich mit den Flamen in ihrer eigenen Sprache zu verständigen.
Es sind noch ein paar Minuten bis seventeen hundred und so laufe ich noch an die Schelde. Die Sonne geht unter und ihr letztes Licht bricht durch die Wolken, Licht, das die Kathedrale nochmal wunderschön anleuchtet. Ich bereue, nur mein Smartphone dabei zu haben. Mit meiner Nikon hätte man viel mehr mit dem Sonnenuntergang und dem Licht machen können. Aber die beste Kamera ist die, die man dabeihat.
Pünktlich um seventeen hundred kommen der Kapitän und seine Frau zum Treffpunkt. Wir werden von einem Mann angesprochen, der da schon eine Weile herumgestanden hat. Ob er der Kapitän der Bright Sky sei? Ja, das sei er. Es ist der Taxifahrer, der uns zurückbringen soll.
Es geht zurück durch die verstopften Straßen Antwerpens. Der Taxifahrer fragt, ob wir shoppen waren. Es ist gerade ja Winterschlussverkauf. Der Kapitän sagt, dass der Taxifahrer nie erraten würde, was er im Rucksack hätte. 20 kg gutes Fleisch. Während der Reise nach Namibia wird es ein Barbecue geben und da muss es besseres Fleisch als das übliche sein. Ich rechne schnell um: 25 Personen und 20 kg Fleisch – wir werden alle satt werden.
Sonst unterhalten wir uns prächtig über belgische Autofahrer, belgisches Bier, Fritten und Schokolade und über furchtbare Architektur und Bausünden. Der Kapitän und seine Frau haben ja eine Woche auf die Bright Sky in Antwerpen gewartet, bevor sie dann nach Hamburg beordert wurden. Und er war in den letzten 30 Jahren immer wieder mal in der Stadt gewesen. Jedenfalls kennt er sich ganz gut aus. Der Taxifahrer kennt sich im Labyrinth des Hafens aus und setzt uns wieder vor der Gangway der Bright Sky ab.
Es war ein wunderschöner Nachmittag gewesen. Die Fahrt hat mich keinen Cent gekostet, da der Kapitän auf Kosten der Reederei das Taxi gebrauchen durfte. Ich bin ihm sehr dankbar für die Mitfahrgelegenheit.
Pierre ist nicht da. Er verbringt die Nacht in einem Hotel in Antwerpen. Dort gibt es freies Wi-Fi und er muss noch Geschäftskorrespondenz erledigen.
Auf der Bright Sky herrscht geschäftiges Treiben. Die Bargen, die die Kohle/Anthrazit geliefert haben, sind weg. Die Kräne hieven schwere Metallplatten in den Bauch des Schiffes. So wird es wohl noch zwei Tage weiter gehen, bis der Frachter vollgeladen ist. Draußen ist es so laut, dass man das Fenster nicht aufmachen kann und immer wieder, wenn etwas Schweres geladen wird, schaukelt das ganze Schiff.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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