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Mein Wecker klingelt um 4:30 Uhr. Gestern hatte der Kapitän gesagt, dass wir um 5:00 den Lotsen an Bord nehmen werden. Ich möchte das Anlegemanöver miterleben und da heißt es früh aufstehen.
Ich blicke aus dem Fenster. Lichter! Da liegt die Stadt, Walvis Bay, mein Ziel. Es sind die ersten Lichter an Land seit Teneriffa. Teneriffa – irgendwie kommt es mir wie eine Ewigkeit her vor, so voll waren die Tage seitdem mit Erlebnissen.
Eine Viertelstunde später stehe ich auf der Brücke. Der Kapitän, Chief Officer und Steuermann sind schon dort. Der Steuermann ist im wirklichen Leben Matrose. Immer wenn wir ein– und auslaufen, steht er an dem kleinen Steuerrad. Sonst macht er die übliche Matrosenarbeit.
Wir fahren ganz langsam. Die beleuchteten Bojen, die die Fahrrinne in den Hafen anzeigen, kommen immer näher. Auf der einen Seite leuchten sie rot, auf der anderen grün. Ganz am Ende, im Hafen selbst ist auch noch ein rotes und grünes Licht angebracht. Wenn die beiden Lichter übereinander stehen, weiß man, dass man den perfekten Kurs hat.
Der Kapitän gibt dem Steuermann hin und wieder eine Richtungsanweisung, die dieser wiederholt und dann ausführt.
Pünktlich um 5:00 haben wir die ersten Bojen der Fahrrinne erreicht. Das Boot mit dem Lotsen kommt auch schon. Der Chief Officer geht hinunter, um den Mann in Empfang zu nehmen.
Wir sind schon in der Bucht von Walvis Bay. Der Leuchtturm von Pelican Point liegt hinter uns. Rechts von uns sehen wir einige große Schiffe in voller Beleuchtung vor Anker liegend.
Der Lotse kommt auf die Brücke. Es ist ein kleiner, etwas übergewichtiger Mann, der völlig außer Atem ist, von den vielen Treppen. Er übernimmt das Kommando.
Ab und zu sagt er etwas wie “One eight two”. Der Steuermann wiederholt “One eight two” und etwa eine halbe Minute später sagt er, dass das Schiff jetzt auf one eight two ist, also Richtung 182° zusteuert.
Der Lotse hat sich vom Treppensteigen erholt und geht erstmal auf den Balkon, eine rauchen. Der Chief Officer bringt ihm einen Kaffee. Alle paar Minuten wird der Kurs korrigiert. “One eight one”. “One eight one” … “We’re on one eight one.”
Ein paar Minuten später warten zwei Schlepper auf uns. Eigentlich sind es eineinhalb Schlepper, denn der eine ist winzig.
Der Kapitän bittet den Lotsen um Erlaubnis, die Schlepper am Schiff zu vertäuen. Der Lotse gibt sein Okay.
Pierre kommt auch auf die Brücke. Gemeinsam stehen wir in einer Ecke, wo wir niemanden stören und schauen zu.
Je näher wir dem Hafen kommen, desto langsamer wird das Schiff. Eigentlich wird es nur noch vom Momentum nach vorne getrieben. Wir fahren an einem Hafen für Fischerboote vorbei, dann an einem Tanker, dann an drei Trockendocks.
Wir werden an der Backbordseite anlegen, deswegen wird die Steuerkonsole auf dem Backbordbalkon fertig gemacht. Der Chief Officer übernimmt die Steuerung mit einem Joystick. Der Steuermann darf gehen.
Der Lotse beugt sich über die Reling und gibt Befehle, der Chief Officer wiederholt sie und führt sie aus.
Zusammen steuern sie das Schiff parallel zur Kaimauer. Zentimeterweise nähern wir uns dieser. Die Lines Men in gelben Warnwesten warten schon. Es sind auch Lines Women dabei.
Unsere Crew wirft ein leuchtend oranges Seil, dessen Ende beschwert ist, an Land. Die Lines Men nehmen es auf und ziehen. An dem Seil ist das schwere Ankertau befestigt. Die Lines Men ziehen das orange Seil, bis sie die große Schlinge des Ankertaus an Land haben und legen diese über einen Poller. Die Seilwinde an Deck zieht das Ankertau an und zieht so das Schiff die letzten paar Zentimeter bis an die Kaimauer.
Es ist eine sanfte Landung. Es ist ein perfekt eingespieltes Team: der Lotse, der Chief Officer, die Lines Men und natürlich die Crew an den Seilwinden. Ohne einen Rumms liegen wir an den alten Traktorreifen, die an der Kaimauer befestigt sind.
Weitere Ankertaue werden mithilfe der dünnen Seile an Land gezogen. Hier gibt es keine Seilwinden wie in Hamburg oder Antwerpen. Die Lines Men und Women müssen zu dritt das schwere Tau an Land ziehen.
Ein Matrose hisst die namibische Fahne.
Ein weiterer Matrose hat inzwischen die Gangway gelöst und hievt sie mit einem Kran bis aufs Poop Deck. Seine Kollegen unten befestigen sie unten an der Reling und lassen sie aufs Dock herunter.
Wir haben angelegt.
Der Lotse verabschiedet sich und geht kurz darauf die Gangway runter.
Der Lotse war übrigens ein Russe. Der Kapitän sagt, dass es hier eine starke russische Enklave gibt und dass die meisten Lotsen Russen sind.
Das erste, was ich in meiner Kabine mache, ist die SIM–Karte in meinem Smartphone mit meiner namibischen Karte auszutauschen. Nun kann ich whatsappen. So schrecklich habe ich das Internet während der Reise nicht vermisst, außer wenn Pierre und ich mal wieder eine Diskussion über etwas hatten, die man ganz einfach mit Google hätte klären können. Jetzt aber habe ich wieder WhatsApp und das ist auch schön.
Beim Frühstück kommt eine Dame vom Zoll an Bord. Ihr wird selbstverständlich auch ein Frühstück angeboten, aber nein, sie will den Bottle Store überprüfen. Ich nenne es Bottle Store, aber es ist ein Raum auf dem Schiff, in dem die Dinge gelagert werden, die nur der Kapitän verkaufen darf, z. B. Schnaps und Zigaretten. Da wir die meiste Zeit außerhalb von irgendeinem Hoheitsgewässer gefahren sind, ist die Ware zollfrei. Dieses Lager will die Dame vom Zoll als allererstes überprüfen. Es interessiert sie nicht, was irgendwer im Gepäck hat.
Außerdem treffe ich den Hafenagenten der Reederei beim Frühstück. Er wird mir morgen helfen, mein Gepäck bis zum Hafentor zu bekommen. Meine Schwägerin darf nämlich nicht aufs Hafengelände fahren.
Das Löschen der Ladung beginnt. Sonntag hin oder her – ein Hafen schläft nie. Kräne werden vorgefahren und schon schweben die ersten englischen LKWs in der Luft.
Kaum ist Immigration durch, geht Pierre von Bord. Er hat noch ein volles Programm hier in Walvis Bay und Umgebung, bevor er dann nach Madagaskar weiterfliegt. Ich gehe mit ihm die Gangway runter, betrete den rissigen Beton des Hafens von Walvis Bay und mache meinen ersten Schritt in Namibia.
Auch wenn Pierre und ich in einigen Dingen nicht einer Meinung waren, so war er doch ein guter Reisebegleiter. Wir umarmen uns zum Abschied herzlich. Ich werde ihn vermissen.
Ich vermisse ihn schon beim Mittagessen. Irgendwie fehlt mir Pierre an der anderen Seite des Tisches.
Nach dem Mittagessen gibt es eine Sicherheitsübung, an der ich aber nicht teilnehmen muss. Ich gehe trotzdem hin, denn es wird spannend. Jetzt, wo wir im ruhigen Hafen liegen, überprüft die Mannschaft, ob der Davit für das kleine Rettungsboot funktioniert. Das Boot wird einmal mit drei Männern drin bis zum Wasser heruntergelassen.
Als Nächstes wird beim großen Rettungsboot geprüft, ob der Auslösemechanismus funktioniert. Dafür muss das Boot erst an einem Kran befestigt werden. Schließlich soll es nicht wirklich die sechs Stockwerke runter ins Wasser fliegen. Der Third Officer klettert dann hinein und betätigt den Auslösemechanismus. Er funktioniert, wie er funktionieren soll. Alle sind zufrieden.
Der Nachmittag ist irgendwie durcheinander. Eigentlich will ich ein Mittagsschläfchen halten, aber dann ist mir doch nicht danach. Eigentlich will ich meine Koffer packen, aber es gibt noch einiges zu tun, bevor ich packe, z. B. Fotos sortieren.
Schließlich gehe ich an Land. Ich laufe noch ein wenig am Dock herum und mache Fotos. Ich war nun vier Wochen auf der Bright Sky gewesen und konnte sie nie von außen betrachten. Es ist auch unmöglich das Schiff als Ganzes im Hafen zu sehen, bei all den Hafenkränen, Containern und abgeladenen LKWs, die da herumstehen. Daher bin ich froh, dass ich am Vortag die Golden Karoo, dem Schwesternschiff fotografiert zu haben.
Ich blicke hoch zur Brücke, auf deren Balkone ich jeden Morgen und jeden Abend die Sonne fotografiert habe. Ich gehe nach vorne zum Bug und schaue hoch zur Spitze des Schiffes, wo ich Stunden stand, fliegende Fische, Vögel und Delfine gesehen habe oder einfach nur übers Meer, über das Licht auf dem Wasser, auf die Wellen geblickt habe.
Schließlich beobachte ich noch, wie die englischen LKWs entladen werden.
Zurück an Bord mache ich weiter mit meinen Fotos. Ich vermisse die fliegenden Fische. Tausende Fotos von ihnen habe ich auf der Festplatte, aber ich habe sie nicht selbst, außer in meinen Erinnerungen. Ich möchte wieder raus und fliegende Fische fotografieren.
Nach einem einsamen Abendessen ohne Pierre und ohne den Kapitän und seine Frau, fange ich ernsthaft an zu packen. Irgendwie ist noch überall viel Platz. Ich überlege, ob ich irgendwas vergessen habe, schaue nochmal in alle Schränke und Schubladen. Es ist aber alles verpackt. Einiges ist noch in Gebrauch wie Ladekabel. Ich kann doch nicht alles einpacken und mache wieder in Fotos von fliegenden Fischen.
Ich glaube, dass ich inzwischen im Kopf in Namibia angekommen bin. Ich bin bereit, morgen die Bright Sky zu verlassen und meinen neuen Lebensabschnitt in Namibia anzufangen. Aber ich bin auch noch zu nah am Meer und am Schiff und den Menschen auf dem Schiff, zu nah an den außerordentlichen letzten vier Wochen. Ich bin im Limbo.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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