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Abschied von der Bright Sky
Beim Frühstück nehme ich Abschied vom Kapitän und seiner Frau. Er hat heute frei und sie wollen eine Katamarantour unternehmen und Robben, Pelikane und – vielleicht – Delfine fotografieren. Der Abschied macht mich traurig. Wir haben uns wirklich gut verstanden, sei es auf dem Bugbalkon beim Fotografieren oder bei den Gesprächen zu Tisch oder auf der Brücke.
Robert verspricht mir, mein Gepäck an Land zu bringen. Der Hafenagent der Reederei und ich verabreden uns um zehn vor zehn. Er wird mich zum Tor bringen.
Ich verabschiede mich vom Koch und bedanke mich für das gute polnische Essen. Er freut sich darüber und wünscht mir alles Gute.
Ich packe dann auch noch den Rest meiner Sachen ein. Schließlich steht mein Gepäck bereit. Zwei Koffer, eine pralle Reisetasche, ein Fotokoffer, ein großer Rucksack. Ich schaue nochmal in alle Schränke und Schubladen. Sie sind leer. Ich habe nichts vergessen.
Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit und stehe am Fenster der Kabine und schaue zu, wie das Schiff weiter entladen wird. Die LKWs aus dem Laderaum vor meine Kabine sind alle weg. Die Luke wird verschlossen. Die Kräne arbeiten nun weiter vorne und heben Container an Land. Die Crew betätigt den Schiffskran und hievt dicke Stahlplatten aus dem übernächsten Laderaum.
Es klopft an meiner Tür. Robert steht bereit. Diesmal muss er das Gepäck all die Stockwerke hinunterschleppen. Am schlimmsten ist es auf der etwas wackeligen Gangway. Dann aber steht mein Gepäck an Land. Ich verabschiede mich von Robert und gehe die Gangway der Bright Sky hinunter. Unten drehe ich mich nochmal um und schaue zurück aufs Schiff, das Schiffsgebäude hoch hin zu den Balkonen auf der Brücke. Ich verabschiede mich. Oben, am Fahnenmast der Brücke weht die namibische Flagge. Ich bin angekommen.
Der Hafenagent kommt und lädt mein Gepäck ein. Sein Auto ist klein und wir müssen hin und her packen, aber schließlich ist alles drin.
Meine Schwägerin Lettie und ihre Freundin Petro holen mich am Hafentor ab. Vor lauter Gerede vergessen wir es fast, dass ich noch zur Immigration muss. Ich brauche noch einen Stempel in meinem Pass. Wir fahren zum Büro der Einreisebehörde. Ich fülle das Formular aus. Die kaugummikauende Beamtin hat ihr Cell Phone am Ohr, aber sie bearbeitet gleichzeitig meine Papiere und schließlich tut sie mir einen Stempel in den Pass. Nun bin ich offiziell Einwohnerin Namibias.
Während wir vom Hafen in die Innenstadt Walvis Bays fahren, kann ich durch die Gebäude und aufgestapelten Container nochmal die Kräne und das Schiffsgebäude der Bright Sky sehen. Dann biegt Lettie in eine Seitenstraße ein. Wir fahren nach Osten, weg vom Meer, dem Hafen und dem Schiff.
Epilog
“I remember the first three months, the way it felt, when my first crewmates left, how long it felt like I’d already been here, how long ago that was. I can barely remember what Terry, Samantha and Anton looked like, what their mannerisms are, or what their voices sound like, the sound of Samantha humming. Like old friends who drifted away long ago, they are now a distant memory.”
Scott Kelly – Endurance
Es sind nun schon ein paar Monate vergangen. Der Alltag in Namibia hat mich voll beschäftigt. Nicht nur musste ich die Renovierung unseres zukünftigen Hauses begleiten, ich musste mich auch mit komplizierten Zollerklärungen für unseren Container auseinandersetzen.
Zu allem Überfluss habe ich mir gleich in den ersten Tagen mein Bein gebrochen und musste sechs Wochen in einer Orthese und auf Krücken herumlaufen.
Trotz all dieser Dinge denke ich täglich an die Bright Sky. Schließlich hatte ich tausende von Fotos zu bearbeiten. Dann musste der Text zu diesem Bericht geschrieben werden. Auch das ließ mich immer wehmütig an meine Reise mit dem Schiff denken. Wehmütig, weil es eine außerordentliche und schöne Reise war.
Ich bin glücklich, dass ich diese Reise erleben durfte und ich möchte mich daher bei denjenigen bedanken, die mit mir auf dem Schiff waren:
- Pierre, mit dem ich viele, manchmal kontroverse, aber immer gute Diskussionen hatte, vor allem für den Denkanstoß, den er mir zum Thema “Erleben/Wissen” gegeben hat. Dieser Anstoß hat mich geändert und die Änderung macht mein Leben reicher.
- Der Kapitän, der mich mit seiner Begeisterung die Wildlife–Fotografie nähergebracht hat und mir in vielen Gesprächen die Abläufe auf dem Schiff erklärt hat.
- Die Frau des Kapitäns. Leider konnten wir uns nicht unterhalten, aber sie hat dennoch unsere Gespräche zu Tisch bereichert, indem sie interessante Dinge gesagt hat, die ihr Mann übersetzt hat.
- Der Chief Engineer und seine Kollegen aus dem Maschinenraum, die mich mit ihren Maschinen beeindruckt haben,
- Die Offiziere auf der Brücke für ihre Geduld mit uns Passagieren,
- Der Koch, der mir die polnische Küche außerordentlich schmackhaft rübergebracht hat,
- Robert, für seine freundliche Fürsorge,
- Und alle anderen Seeleute an Bord:
Dziękuję!
Auf welchen Schiffen ihr Seeleute auch immer seid, ich wünsche euch, dass immer eine handbreit Wasser unter dem Kiel ist.
Mein Dank gilt auch:
- Dem ersten Kapitän in Hamburg, einem Gentleman mit viel Humor,
- Dem deutschen Ingenieur in Hamburg, der mir die Komplexität des Maschinenschadens so erklären konnte, dass auch ich es verstanden habe,
- Sowie dem Cargo Agenten in Antwerpen, der mir das Beladen eines so großen Schiffes so eindrücklich geschildert hat.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
Alma says
Hallo Annette
Vielen Dank für den schönen Bericht deiner Reise ins “neue Leben”. Sich so langsam neuen Ufern zu nähern ist schon toll.
Ich hoffe, irgendwann auch mal mit einem Frachtschiff reisen zu können.
lG Alma
adminOutInAfrica says
Liebe Alma, ich würde diese Art des Reisens jedem empfehlen, der genug Zeit hat. Danke für dein Kommentar. Liebe Grüße, Anette
Helga Mosbach says
Liebe Anette,
nun hat mich Dein Bericht ein paar Tage beschäftigt, mich tief beeindruckt, mit Dankbarkeit erfüllt, dass Du so schreibst, wie Du schreibst. Und dann die Fotos, so unbeschreiblich schön!!!!
Dein Bericht ist für mich auch deshalb so besonders, weil ich diese Fahrt so gerne auch gemacht hätte: meine Großeltern sind 1952 von Hamburg aus mit der “Lucy Essberger” nach Walfishbay gefahren, meine Großmutter hat darüber geschrieben, und ich hätte zu und zu gerne diesen Weg auch einmal in meinem Leben genommen.
Ich weiß, dass selbst sehen mit erzählt bekommen nicht zu vergleichen ist, dennoch danke ich Dir von ganzem Herzen für Deinen Bericht.
Liebe Grüße, auch an Anita, von Helga (deren Mutter 1919 in Keetmanshoop geboren wurde)
adminOutInAfrica says
Liebe Helga, vielen Dank für dein Kommentar. Es bedeutet mir viel, dass dieser Bericht dir soviel Freude gemacht hat. Liebe Grüße, Anette
Dr. Angelika Schrettenbrunner, Bonn says
Liebe Anette,
Im November / Dezember 2022 bin ich mit der MACS M/V Bright Sky von Hamburg nach Kapstadt gefahren. Eigentlich sollte es sogar eine Fahrt um das Kap bis Maputo werden, aber das war aus verschiedenen Gründen leider nicht möglich. Als ich soeben auf deinen ausführlich und kreativ dokumentierten und schön bebilderten Reisebericht gestossen bin, hat mich das riesig gefreut, denn deine Schilderungen haben meine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen heraufbeschworen und nochmal nacherleben lassen! Diese Reise hat sehr tiefe Eindrücke in mir hinterlassen, die mich bis heute täglich begleiten. Vielen Dank!