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Um 07:30 CAT liegen wir auf S19° 25.971′ E10° 56.032′, 190 km westlich von Möwe Bay.

Die Sonne ist zwar schon auf, als ich aufstehe, aber der Blick ist trotzdem außerordentlich schön. Lichtstrahlen fallen durch die Wolken und werfen silberne Flecken auf den Ozean.
Beim Frühstück erzählt der Kapitän, dass er schon eine Walfontäne ausgemacht hat.
Nach dem Essen gehe ich auf die Brücke. Ein großer weißer Vogel fliegt hinter dem Schiff her. Es ist ein Albatros.
Nur welcher von den vielen Kandidaten kann es sein? Bei der Bestimmung hängt alles von der Farbe des Schnabels ab. Leider ist er zu weit weg. Selbst mit dem Fernglas lässt es sich nicht ausmachen.
Ich will raus und Tiere beobachten. Aber der Kapitän hat mir auch einen Stick gegeben mit der Bitte, die Bilder, die ich gestern von ihm und seiner Frau gemacht habe, darauf zu tun. Kann das vielleicht bis morgen warten? Heute Abend kann ich da ruhiger dran arbeiten.
Ich lasse Fotos Fotos sein und gehe zum Bugbalkon. Pierre ist schon da.
“Da sind ganz viele fliegende Fische!”, sagt er.

Tatsächlich. Das habe ich nicht erwartet. Immer wieder stieben sie aus dem Wasser.
Oft sind es die weißflügeligen, von denen ich schon ganze Kindergärten beobachtet habe. Hier sind also die Erwachsenen. Sie haben ihre Babys in wärmeren Gewässern gelassen.

Die weißflügeligen fliegenden Fische sind viel zu hektisch. Sie schaffen fünf, höchstens zehn Meter. Das macht es sehr schwierig sie zu fotografieren. Sie schaffen es kaum bis vor dem Bug, dann plumpsen sie wieder zurück ins Wasser.
Ich habe zu tun. Ich stehe ganz vorne an der Reling und versuche, brauchbare Fotos zu knipsen. Wenn es mal keine fliegenden Fische gibt, schaue ich auf und übers Meer.

Heute, wo wir der namibischen Küste immer näherkommen, gibt es viel mehr Vögel. Vor allem Corysturmtaucher fliegen umher. Es gelingt mir ein paarmal sie formatfüllend zu fotografieren.
Ich bleibe den ganzen Vormittag am Bug. Es ist kühl, aber ich habe meine Windjacke dabei.

Oft passiert nichts. Dann trinke ich mitgebrachten Kaffee aus meinem Thermobecher. Dabei mache ich eine interessante Beobachtung. Wenn ich den Becher hebe, um zu trinken, passiert gerade etwas Spannendes. Es kommt entweder ein Schwarm besonders schöner fliegender Fische vorbei oder ein Sturmtaucher schwebt direkt vor der Reling. Ich habe dann keine Hand frei, um sie zu fotografieren. Wenn ich aber den Becher absetze und die Kamera im Anschlag habe, passiert nichts.
Das Nichts ist nicht langweilig. Ich blicke über die Wellen und schaue zu, wie sich durch Sonne und Wolken, Schatten und Spiegelung die Seelandschaft ständig im Wandel ist. Der Ozean ist nicht flach oder er sieht zumindest nicht eben aus. Das Licht gaukelt mir eine Illusion von Höhen und Tiefen vor.


Pierre, in Shorts und T–Shirt, kommt immer wieder mal vorbei, aber es wird ihm immer nach ein paar Minuten zu kalt. Wenn gerade nichts passiert, geht er wieder.
Während wir miteinander plaudern, sehe ich eine Rückenflosse im Wasser. Ganz nah! Es ist ein Delfin.

Aufgeregt rennen wir zur Backbordseite, um zu sehen, ob er nach vorne kommt, oder außer unserer Sichtweite nach hinten schwimmt. Das Tier erblicken wir aber nicht mehr.
Pierre bleibt noch eine Weile, aber dann friert ihm wieder und er verschwindet durch die Luke.
Ein wenig später sehe ich einen ganzen Tross von Delfinen, wieder an der Backbordseite. Sie springen aus dem Wasser. Ich hoffe, dass sie nach ganz vorne, zum Bug schwimmen, aber auch sie lassen sich zurückfallen.

Es folgt wieder eine Stunde von Nichts, unterbrochen von fliegenden Fischen oder einem Sturmtaucher.
Ich sehe wieder einen Pulk von Delfinen, wieder an der Backbordseite. Fast gelingt es mir, sie zu fotografieren, dann verschwinden sie wieder aus meiner Sicht.
Bei so vielen Delfinen auf der Backbordseite überlege ich kurz, ob ich den Balkon aufgeben und mich an die Reling in der Mitte des Schiffs stellen sollte. Dort könnte ich die Bugwelle sehen. Vielleicht spielen die Delfine lieber da? Dann würde ich aber keine fliegenden Fische und Sturmtaucher mehr beobachten können. Die Reling, von der man eventuell mehr Delfine sehen könnte, ist auf dem Upper Deck, zwei Stockwerke tiefer. Dort ist der Blick sehr viel eingeschränkter.

Ich bleibe, wo ich bin. Ich bin glücklich, denn ich habe in wenigen Stunden dreimal Delfine ganz nah gesehen.
Nach dem Mittagessen stehe ich vor der Wahl: in der Kabine bleiben und Fotos bearbeiten oder zum Bug gehen. Es ist zwar sonnig, aber auch sehr windig und kühl. Ich sage mir dann: “Das ist der letzte Tag auf dem offenen Meer. Morgen ist die Reise vorbei.” Ich gehe wieder zum Bug und bleibe dort bis zum Abendessen.


Es gibt keine fliegenden Fische mehr. Einen einzigen, allerletzten sehe ich noch. Dann nichts mehr. Das Meer hat inzwischen eine flaschengrüne Farbe angenommen. Wir fahren im Benguela Strom. Zwar sind wir noch gute hundert Kilometer von der Küste entfernt, inzwischen auf der Höhe von Torra Bay, aber das Meer hat sich binnen einer Stunde geändert.
Mir fehlen die fliegenden Fische. Sie waren seit Dakar unsere ständigen Begleiter. Nun sind sie plötzlich weg.
Es gibt dafür mehr Vögel. Und die Meereslandschaft ist ja auch noch da.
Ein großer brauner Vogel schwimmt auf dem Wasser. Als das Schiff näherkommt, erhebt er sich. Es ist ein Sturmvogel mit einem skurrilen Schnabel. Er fliegt ganz nahe am Bug vorbei, so als ob er sich mir von allen Seiten zeigen möchte. Ich freue mich, ihn zu fotografieren, denn die Frage ist, ob es ein Hallsturmvogel oder Riesensturmvogel ist. Beide kommen hier vor und sehen sich sehr ähnlich, aber der Hallsturmvogel hat eine grünliche Schnabelspitze und der Riesensturmvogel eine rote. Mit meinen Fotos kann ich diese Frage für mich klären. Es ist ein Riesensturmvogel.





Und damit ich mich nicht langweile, kommt Pierre hin und wieder für ein paar Minuten zu Besuch.
Es gibt auch Schiffsverkehr. Schon am Morgen ist uns ein Frachter begegnet. Dann, am Nachmittag ein kleines Boot, das aber nicht nach Fischerboot aussah. Hat Namibia etwa inzwischen eine Küstenwache?
Über den Horizont schiebt sich ein Schiff. Es kommt uns entgegen. Pierre und ich begutachten es fachmännisch. Ganz klar: “General Purpose Freight Ship”, also ein Schiff wie die Bright Sky.

Das Schiff kommt immer näher. Es hat vier Kräne, genauso wie die Bright Sky. Überhaupt es sieht der Bright Sky, bis auf die Farbe zum Verwechseln ähnlich. Es wird doch nicht etwa eins der Schwesternschiffe sein? Zusammen mit der Bright Sky wurden 2013 noch drei andere Schiffe gebaut.

Wir machen das Logo der Reederei aus. Es ist das Nashorn von MACS, unsere Reederei. Jetzt müssen wir nur noch den Namen des Schiffes herausfinden. Wir haben kein Fernglas dabei, aber eine Kamera mit Teleobjektiv. Ich knipse ein Foto vom Bug des anderen Schiffes und vergrößere es auf dem Display. Es ist die “Golden Karoo“, tatsächlich eins der Schwesternschiffe.

In dem Augenblick trötet jemand auf unserer Brücke einen Gruß rüber. Die Hupe ist zehn Meter über unseren Köpfen. Boah ey! Man kann seine Passagiere so erschrecken. Die Golden Karoo trötet zurück.
Ja, so treffen sich die beiden Schwestern irgendwo im Atlantik vor der Küste Namibias.
Noch drei weitere Vögel kann ich fotografieren. Erstmal wieder einen Corysturmtaucher:


Dann sehe ich einen Kaptölpel:

Schließlich gelingt es mir noch ein Foto von einem Atlantik–Gelbnasenalbatros zu machen.

Pierre reist ja bald weiter nach Madagaskar und möchte seine Alkoholvorräte alle machen. Beim Mittagessen haben das Kapitänsehepaar und wir schon die letzte Flasche Rotwein getrunken. Jetzt hat er noch vier Flaschen Bier und die will er mit mir teilen. Wir setzen uns um 17:00 auf das Außendeck von Deck D. Pierre hat dort viel Zeit verbracht; ich war lieber vorne am Bug.
Wir prosten uns zu und sind beide einer Meinung, dass es eine schöne Reise war.
Beim Abendessen entschuldigt sich der Kapitän, dass er uns so einen Schreck mit der Tröte eingejagt hat. Er hat uns nicht warnen können, aber das gehört sich so, in der Seefahrt, dass man sich grüßt, wenn man einer Schwester begegnet.
Nach dem Abendessen ist der Bottle Store geöffnet. Ich kaufe eine Flasche polnischen Wodka. Ich werde so noch eine Weile eine Erinnerung an die polnischen Seeleute und unser gemeinsames Barbecue haben. Jedes Mal, wenn ich davon trinke, werde ich “Nastrowija” sagen, natürlich in polnischer Aussprache.
Ich gehe dann zum allerletzten Mal an den Bug. Morgen werden wir in Walvis Bay sein. Während der Ent– und Beladung wird die Luke geschlossen. Es heißt Abschied nehmen von meinem Lieblingsort auf dem Schiff. Ich habe viele Stunden dort verbracht und schöne und aufregende Dinge gesehen und oft einfach die sich ständig verändernde Landschaft des Ozeans angeschaut. Es macht mich traurig diesen Ort zu verlassen. Noch einmal stehe ich an der äußersten Spitze des Schiffes und fliege über die Wellen.
Ich nehme Abschied, klettere ein letztes Mal die schiefe chinesische Leiter runter und gehe zurück zum großen Haus auf dem Schiff. Es ist Sonnenuntergang. Ich habe meinen Termin auf der Brücke. Ich habe während der Fahrt jeden Tag ein Foto vom Sonnenauf– und Untergang gemacht. Manchmal war es spektakulär, heute ist es eher nüchtern: die Erde dreht sich und die Sonne verschwindet hinter dem Horizont. Nur ein paar Nebelwolken bekommen einen orangen Hauch.

Den Abend verbringe ich damit meine tausenden von Fliegenden Fisch–Fotos zu sichten. Die meisten kommen in den Müll. Aber ich habe mehrere Fotos, auf die ich stolz bin und noch ein paar mehr, die ich gut finde.
Ich schaue um Mitternacht auf meine App.
Jetzt ist schon Sonntag. Mein letzter voller Tag auf der Bright Sky ist angebrochen. Unsere Position ist S22° 14.374′ E13° 50.605′
Wir liegen schon südlich von Henties Bay, 51 km von Jakkalsputz entfernt. Bis Walvis Bay ist es noch 103 km. In vier Stunden werden wir da sein.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.

Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.


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