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Während Anita und ich zur Elbphilharmonie laufen, schaue ich über die Elbe auf die Kais des Hamburger Hafens. Mein Blick fällt auf ein weißes Schiff mit vier Kränen und blauen Schornstein. Ich lese den Namen am Heck: Bright Sky.
Das ist es! Mein Schiff! Auf diesem Frachter werde ich nach Namibia fahren.
Ich freue mich auf das Abenteuer und grinse.
Aber diesen Vormittag widmen wir noch einem ganz besonderen Gebäude: der Elbphilharmonie an der Spitze der Hamburger Speicherstadt.
Am vorigen Abend hatten wir uns beim Besucherzentrum erkundigt, ob wir Tickets für eine Besichtigung bräuchten. Die junge Frau, die uns beriet, sagte, eine Reservierung wäre nicht nötig. Schließlich sei es Winter und ein Wochentag. Da ist in der Elbphilharmonie nicht viel los. Deshalb rechnen wir nicht mit großen Menschenmassen.
Aber: Von wegen an Wochentagen im Winter ist nicht viel los! Tausende Kinder und Teenager sind da. Jemand sagt uns, dass heute 4000 Schüler für ein besonderes Event im Gebäude sind. An anderen Tagen hätten wir den Besuch verschoben, aber es ist mein letzter Tag in Deutschland und unser letzter gemeinsamer Ausflug, bevor wir uns in Namibia wiedersehen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns ins Getümmel zu werfen. Erst geht es die längste Rolltreppe Europas hoch. Die Rolltreppe ist außerdem besonders, weil sie nicht nur gerade nach oben, sondern auch noch in einen Bogen geht. Oben ist es rappelvoll. Die Konzertsäle sind gesperrt, aber wir können auf die Außenterrasse hinausgehen.
Die Aussicht von der Elphi ist wirklich sehenswert. Wir können oben einmal um das Gebäude gehen. Immer wieder tun sich neue Sichten von Hamburg auf. Das Wetter ist zwar nicht so toll, aber die tief hängenden Wolken, durch die ab und zu ein Sonnenstrahl bricht, zaubern ein dramatisches Licht.
Wieder schaue ich über die Elbe zum Kai auf die andere Seite, hinüber zum weißen Frachter mit blauem Schornstein. Auf diesem Schiff werde ich einen langgehegten Traum verwirklichen: einmal in meinem Leben will ich mit einem Schiff nach Afrika fahren.
In der letzten Zeit wurde ich oft gefragt, warum ausgerechnet eine Frachtschiffsreise? Anita kann diesen Traum nicht verstehen, aber sie fährt nicht gerne Schiff. Zwei Stunden mit einer Fähre von Calais nach Dover sind ihr das höchste der Gefühle. Ich aber, ich will drei Wochen mit einem Schiff fahren. Richtig auf hoher See, wo kein Land mehr in Sicht ist, wo es nur Ozean und Himmel gibt. Warum?
Alle meine Vorfahren oder deren Vorfahren waren mit einem Schiff nach Afrika gereist. Die letzten Familienmitglieder, die so nach Afrika ausgewandert sind, waren meine Oma mit ihren beiden Töchtern: meine Mutter und meine Tante. Meine Mutter war damals ein siebenjähriges Mädchen gewesen. Es war 1948, kurz nach dem Krieg.
Bis Anfang der Siebziger Jahre war es noch üblich gewesen, mit einem Schiff zu reisen. Dann kamen aber die großen Boeings und ein Direktflug nach Südafrika und Namibia wurde möglich. Die beschwerliche, mehrwöchige Reise per Schiff musste nicht mehr sein. In 12 Stunden konnte man den afrikanischen Kontinent überqueren.
Jetzt will ich aber voll Retro gehen und auf einem Schiff nach Walvis Bay fahren. Der Traum einer Schiffsreise ist schon viele Jahre da, vielleicht inspiriert durch die Reise meiner Mutter als Kind, vielleicht auch inspiriert durch die Erzählungen im Geschichtsunterricht über die portugiesischen Seefahrer, die den Seeweg nach Indien um Afrika suchten. Es ist eine Art des Reisens, die ich noch nicht kenne und die ich mal erleben möchte.
Es gibt auch einen völlig praktischen Grund für eine Reise mit einem Schiff: Ich kann viel mehr Gepäck mitnehmen. Das habe ich, bei dieser Reise, dringend nötig, denn wir ziehen nach Namibia um und ich habe einige Dinge, die ich nicht im Umzugscontainer verschiffen möchte – zu viel für einen Koffer von 23 kg und einem Rucksack von 8 kg. Wäre ich Businessclass geflogen, hätte ich zwar doppelt so viel Gepäck mitnehmen können, aber ich hätte dann fast genauso viel gezahlt wie drei Wochen Frachtschiffreise. Auf einem Frachtschiff kann ich richtig viel einpacken. Ich habe zwei Koffer, eine prall gefüllte Reisetasche, eine weitere Kiste mit Fotoausrüstung und einen großen Rucksack dabei.
Wann, wenn nicht jetzt? Ein Lebensabschnitt – 20 Jahre Deutschland – geht zu Ende. Ein neuer Lebensabschnitt in Namibia beginnt. Vielleicht ist eine Schiffsreise bei so einem Einschnitt im Leben genau das Richtige? Ich werde genug Zeit haben, das alte Leben hinter mir zu lassen und auf das neue hinzufahren.
Wenn aber Schiff, dann mit einem Frachtschiff. Ein Passagierschiff mit tausenden Urlaubern, All–You–Can–Eat–Buffet, Animation und Entertainment ist nichts für mich. Das bin ich nicht. Darum habe ich im letzten Jahr eine Frachtschiffreise gebucht und nun ist der Tag da, an dem die Reise mit der Bright Sky losgeht.
Nach der Besichtigung der Elbphilharmonie ist es schon fast Zeit zum Hafen zu fahren. Aber ich will noch eine Apotheke besuchen. Das einzige, wovor ich mich bei einer Schiffsreise fürchte, ist Seekrankheit. Da ich noch nie – außer mit der Fähre von Calais nach Dover – mit einem Schiff gefahren bin, weiß ich nicht, wie ich auf heftiges Schaukeln reagieren werde. Tabletten habe ich schon dabei, aber eine Freundin hat mir von einem Armband gegen Übelkeit erzählt, dass Wunder gegen Seekrankheit wirken soll. Das will ich haben. Bei der Hafenapotheke werde ich fündig.
Dann geht es los zum Schiff: durch den Hafen und über Brücken, über die Windhukstraße zum Kamerunkai. Erst haben wir Schwierigkeiten, die Einfahrt zum Kai zu finden, dann aber stehen wir vor der richtigen Schranke. Der Pförtner ist sehr freundlich. Ich stehe auf seiner Liste. Wir können bis zum Schiff selbst mit dem Auto fahren. Darüber sind wir, wegen der schweren Koffer, sehr erleichtert. Er öffnet die Schranke und wir fahren bis zur Gangway der Bright Sky.
Es ist kein Containerriese, sondern ein General Purpose Freight Ship – ein Frachter, der alles laden kann. Mit ihren 200 Metern Länge ist die Bright Sky aber auch kein Winzling. Noch ist sie nicht schwer beladen. Die Wasserlinie ist noch ein paar Meter über dem Wasser. Der Schiffsrumpf ist noch sehr hoch. Darüber, am Heck des Schiffes, türmt sich das Schiffsgebäude mit seinen sieben Stockwerken auf.
Ich gehe eine schwankende Gangway hoch an Bord. Ein netter Seemann zeigt mir das Büro, wo ich mich anmelde. Der Kapitän begrüßt mich und nimmt mir meinen Pass und Impfpass ab. Die Papiere bekomme ich zurück, wenn ich in Walvis Bay von Bord gehe.
Mir wird die Kabine gezeigt und die Erlaubnis gegeben, Anita auch an Bord zu holen. Wir schauen zu, wie meine Sachen in ein Netz gepackt und mit einem Kran hochgezogen werden. Dann kommt Anita auch an Bord.
Meine Kabine ist auf dem C–Deck, auf dem 5. Stockwerk. Sie ist recht groß und gemütlich eingerichtet. Es gibt eine Sitzbank mit Tisch, einen Schreibtisch, zwei Stühle, eine breite Koje, einen Schrank mit Entertainment Center, einen Kleiderschrank, eine Ablage, mehrere Regale und ein kleines Bad mit Dusche, WC und Waschbecken. Der Raum hat zwei Fenster mit Aussicht nach vorne. Anita ist nun auch überzeugt, dass es mir gut gehen wird.
Mein Gepäck ist zwar auf dem Schiff, aber ich weiß nicht wo. Anita geht wieder von Bord und ich mache mich auf die Suche nach den Koffern. Dann sehe ich den Steward, der mein Gepäck bis in meine Kabine schleppt.
Der Steward heißt Robert und ist sehr freundlich und hilfsbereit. Er ist, wie alle anderen Crew–Mitglieder, Pole. Bordsprache mit den nicht–polnischen Passagieren ist allerdings Englisch. Er zeigt mir noch das Wichtigste in der Kabine, muss sich dann aber verabschieden, weil er noch das Laden der Vorräte für die Kombüse beaufsichtigen muss.
Nun muss ich mich von Anita und Penny verabschieden. Wir sehen uns erst in vierzehn Wochen wieder. Ich muss weinen, aber das ist mein letzter Abschied in Deutschland und es ist nicht für immer. Im Gegenteil, bald werden wir uns in Namibia wiedersehen und dann fängt für uns drei ein neuer Lebensabschnitt an.
Ich packe aus. Platz habe ich genug in meiner Kabine. Ich hätte sogar ein paar Koffer mehr mitnehmen können.
Dann gehe ich nach draußen, aufs Deck. Ich weiß, dass ich, wenn das Schiff im Hafen liegt, mich nur im Schiffsgebäude selbst und auf den hinteren Decks aufhalten darf und dort auch nur, wenn ich den arbeitenden Matrosen nicht im Weg stehe. Aber hinten ist niemand und ich fotografiere das beeindruckende Stadtpanorama mit Elbphilharmonie.
Es ist Zeit fürs Abendessen. Wir Passagiere essen in der Offiziersmesse. Es ist ein größerer Raum mit zwei Tischen, die jeweils sechs Menschen Platz bieten. Am Kapitänstisch essen auch der Chief Officer und der Chief Engineer sowie die Gäste. Die zweiten und dritten Offiziere und Ingenieure nehmen an dem anderen Tisch Platz. Robert serviert uns das Essen.
Es gibt noch einen anderen Passagier, Pierre aus der Schweiz. Seine Muttersprache ist Französisch, er kann aber auch sehr gut deutsch sprechen. Zu uns setzt sich noch ein deutscher Ingenieur, der Reparaturarbeiten beaufsichtigt und bis Antwerpen an Bord sein wird. Wir drei unterhalten uns angeregt.
Es ist nicht die erste Schiffsreise, die Pierre unternimmt. Er ist dreimal mit Containerschiffen und so einmal um die Welt gefahren. Nun will er mal mit einem General Purpose Freight Ship Nord–Süd fahren, bis nach Durban. Das Kap Horn hat er schon umschifft, nun ist es sein Traum einmal ums Kap der Guten Hoffnung schippern.
Pierre war schon mal in Südafrika und auch in Namibia. Überhaupt war er schon in über hundert Ländern. Ein weitgereister Mann, also. Der Ingenieur und Pierre vergleichen verschiedene Häfen und es ist sofort klar, dass Walvis Bay nicht zu den Häfen gehört, die man mal gesehen haben muss. Singapur und Shanghai – das sind richtige Häfen.
Der Kapitän teilt uns mit, dass das Schiff am Abend noch zu einem anderen Kai verlegt werden muss, damit Düngemittel geladen werden kann. Ich sitze abends in der Kabine und merke plötzlich, dass ein anderes Geräusch zu hören ist. Die Maschine wurde gestartet! Ich ziehe mir meine Jacke an und gehe aufs hintere Deck. Das Ablegen habe ich verpasst, wir sind schon auf der Elbe unterwegs. Ich muss erst noch lernen, die Maschinengeräusche zu interpretieren. Bei Övelgönne ziehen uns die Schlepper einmal 180 Grad um die eigene Achse, es geht wieder ein Stück die Elbe hoch und dann in den Köhlbrand rein. Bald fahren wir unter der imposanten Köhlbrandbrücke durch und nach einer Weile schubsen und ziehen uns die Schlepper an einem anderen Dock. Die Besatzung am Heck wirft Leinen auf den Kai und Hafenarbeiter legen die schweren Schiffstaue über die Poller. Später lerne ich, dass diese Hafenarbeiter “Lines Men” heißen.
Draußen ist es eisig kalt. Es schneit. Ich gehe zwischendurch rein, um mir noch eine Fleecejacke und Mütze anzuziehen. Aber obwohl es Nacht ist und Schnee fällt – die Arbeit geht weiter. Die Kräne sind schon in Aktion. In der Nacht wird noch geladen. Morgen früh soll es dann richtig losgehen.
Es war ein ereignisreicher Tag. Ich bin glücklich – trotz Abschied von Anita und Penny. Meine Kabine ist groß, warm und trocken. Es ist schön, auf den Spuren meiner Vorfahren zu sein und mit einem Schiff nach Afrika zu reisen. Die Packerei für den Umzug, der Abschied von Lommersum und überhaupt von Deutschland liegt hinter mir. Ich bin zwar noch im Hamburger Hafen, aber auf dem Wasser, nicht mehr auf dem Land. Ein neuer Lebensabschnitt fängt an.
Möchtest du eine Übersicht aller Beiträge zu meiner Reise auf dem Frachtschiff Bright Sky sehen? Hier geht es zu einem Inhaltsverzeichnis.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
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