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Ich wache gegen 6:00 Uhr auf und habe Kopfschmerzen und viel Durst. Vielleicht hätte ich nicht die verschiedenen Alkoholsorten durcheinandertrinken sollen.
Als ich um 7:40 Uhr in die Offiziersmesse zum Frühstück komme, ist niemand da. Auch Robert ist nicht in seiner kleinen Kombüse. Der Koch springt für ihn ein und fragt, ob ich ein Frankfurter Würstchen möchte. Mir ist überhaupt nicht danach und ich beschränke mich auf eine Scheibe Brot mit Marmelade und ein wenig Obst. Kurz darauf kommt Robert, der wohl anderswo im Schiff beschäftigt gewesen ist und bringt mir noch einen Becher Nescafé.
Ich bin schon fast fertig, als der Kapitän und der Chief Officer dazu kommen. Die Party war noch bis 3:00 Uhr gegangen. Kein Wunder, dass niemand zum Frühstück kommt.
Kurz darauf kommt Pierre. Er hat keine Kopfschmerzen, was für die Güte des Weins spricht, der gestern serviert wurde.

Ich gehe hoch zur Brücke. Das Wetter hat sich geändert. Dicke Gewitterwolken sind am Himmel. Es ist sehr schwül und warm. Ich entscheide mich, mich nochmal umzuziehen, bevor ich zum Bug gehe. Eine Shorts muss her.
Irgendwie ist der Weg nach vorne heute beschwerlicher als sonst. Die Treppen sind höher, die Leiter noch gekippter als sie ohnehin schon ist.
Es ist auffallend, dass die Eisenleitern zu irgendwelchen Luken auf diesem Schiff nicht senkrecht sind, sondern nach vorne gekippt. Das macht sie steiler hochzuklettern als eine normale senkrechte Leiter. Ich habe den Kapitän gefragt, ob es dafür einen Grund gibt. Vielleicht finden Seeleute überhängende Leitern besser als normale? Seine Erklärung für die überhängenden Leitern war, dass das Schiff in China gebaut wurde.
Es gibt am Bug nicht viel zu sehen. Der Wind hat sich gedreht und kommt von der Seite. Das Wasser ist unruhig. Ein paar fliegende Fische sind zwar unterwegs, aber unter diesen Umständen können sie nicht so weit fliegen wie gestern.
Eine bedrohliche Gewitterwand kommt immer näher und ich entscheide mich, lieber zurückzugehen, bevor es anfängt zu regnen. Ich melde mich auf der Brücke zurück und bleibe dort um mir das Gewitter anzuschauen.

Der Third Officer hat Dienst. Überall auf der Brücke liegen rote Säcke herum. Drinnen sind die Neopren–Überlebensanzüge der Mannschaft. Der Third Officer packt sie aus und überprüft die Anzüge auf Löcher. Dann schmiert er Fett auf den großen Reißverschluss vorne. So wird gewährleistet, dass dieser immer gängig ist. Im Notfall zählt jede Sekunde und dann will keiner an einem klemmenden Reißverschluss herumfummeln.
Ich frage den Third Officer, wann wir den Äquator überqueren würden. Ich hatte irgendwie im Kopf, dass es heute sein würde. Nein, sagt er, erst morgen. Er kann es ziemlich genau mit dem Navigationssystem bestimmen. Wenn wir den jetzigen Kurs und die Geschwindigkeit beibehalten (was geplant ist) erreichen wir den Äquator morgen um 15:43 Uhr.
Ich sage, dass ich gerne das Navigationsgerät des Schiffes in dem Augenblick fotografieren würde, wenn alle Ziffern des Breitengrads auf Null stehen. Er zückt sein Smartphone und zeigt mir genau das Foto von seiner ersten Äquatorüberquerung.
Nachmittags schlafe ich erstmal eine Stunde. Es geht es mir danach viel besser.
Dann sortiere ich meine Fotos von den fliegenden Fischen vom Vortag aus. Von den über 500 Bildern sind 21 übriggeblieben.
Später stehe ich wieder auf dem Bugbalkon. Der Himmel ist mit dunklen Wolken bedeckt. Wir sind hier im Gebiet der tropischen Gewitter. Weil so wenig Licht von der Sonne durch kommt, ist das Wasser dunkel. Das erschwert die Fotografie.

Aber es gibt auch nicht viel, dass man hätte fotografieren können. Ab und zu ein paar fliegende Fische. Keine Wale, Haie oder Delfine sind zu sehen. Pierre hat noch einen Vogel gesichtet. Ich selbst habe am Vormittag einen weißen Vogel gesehen, als ich mal aus dem Fenster schaute. Aber während ich am Bug stehe, fliegt kein Vogel vorbei.

Das Meer ist glatt, aber nicht einförmig. Mal gibt es Gebiete mit mehr Wellen. Manchmal kommt mehr Licht durch und bringt das Wasser zum Leuchten. Vom Bug kann ich mehrere solcher Flächen unterschiedlicher Struktur oder Farbe überblicken. Die dunkleren Flächen sehen so aus, als ob sie tiefer liegen als die hellen. Das ist nur eine Illusion, die den Eindruck vermittelt, dass wir durch eine flache Landschaft fahren, die sich immer wieder ändert.
Ich sehe viel Müll. Wasserflasche, Shampooflasche, Metallflasche, Duschgelflasche, noch eine Wasserflasche, Zahnpastatube. Hat jemand seine Kulturtasche verloren? Zwischendurch immer wieder Styropor. Dann ein langer Baumstamm. Manchmal gibt es langgezogene Flächen, auf denen grüngelbe Wasserpflanzen schwimmen. Auf und in ihnen hat sich besonders viel Müll gesammelt.




Pierre kommt für ein paar Minuten dazu. Er hat heute eine Kokosnuss gesichtet. Ich will auch eine Kokosnuss, nicht diese Müllhalde.
Wir unterhalten uns darüber, ob man Fotos mit Müll darauf machen sollte. Pierre sagt, dass er nur schöne Bilder machen möchte, Fotos ohne Müll darauf.
Darüber denke ich eine Weile nach. Einerseits habe ich schon Müll aus Fotos wegretuschiert. Da ging es mir um eine schöne Landschaft und ich wollte sie nicht verunstaltet haben. Anderseits habe ich auch mitten im Kaokoveld eine Cola–Dose fotografiert, weil es das totale Kontrastprogramm war.
Wenn ich nur schöne Fotos mache, die eine heile Welt ohne Müll zeigt, zeige ich dann die Welt, wie sie ist?
Grundsätzlich sind Pierre und ich einer Meinung. Er erzählt mir, dass er in den Schweizer Bergen immer wieder Müll am Wegesrand findet. “Die schleppen die volle Dose im Rucksack rum. Warum können sie die leere Dose nicht wieder in den Rucksack tun und dann zu Hause entsorgen?” Das ist meine Rede.
Ich denke, dass Menschen dann die Natur nicht mehr verschandeln werden, wenn sie sie lieben und sich um sie sorgen. Denen die Natur egal ist, lassen ihre Dosen bei der nächsten Gelegenheit liegen. Diejenigen aber, die die Schönheit wahrnehmen, werden sie nicht verschandeln. Und die Schönheit kann Menschen auch nähergebracht werden, wenn sie schöne Fotos sehen. Das würde ja wieder für Pierres Ansicht sprechen.
Aber: Die Wanderer in den Alpen lieben die Natur, sonst würden sie nicht mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken darin wandern. Dennoch lassen sie ihren Müll zurück, anstatt ihn wieder in den Rucksack einzupacken. Das Erkennen von Schönheit und Liebe zur Natur garantiert nicht, dass man sie nicht verschandelt.

Später, als ich mich auf der Brücke zurückmelde, fragt der Kapitän, ob ich irgendwas Spannendes gesehen habe. “Only garbage”, sage ich. Er zoomt aus der Seekarte auf dem Navigationsgerät heraus. Wir befinden uns gerade in einer Strömung aus Südosten, die den gesamten Müll im Golf von Guinea sammelt. Morgen werden wir aus der Strömung heraus sein. Dann wird es wieder besser werden.
Es wird schöner werden, nicht besser. Wir werden den Müll nicht mehr sehen. Er ist aber immer noch da.
Zum Abendessen gibt es Apfelpfannkuchen mit Puderzucker, dazu Obst aus der Dose. Der Kapitän ist verzweifelt. Er macht nämlich Diät. Das ist uns schon bei den vorigen Mahlzeiten aufgefallen: wenn wir Grillhähnchen mit Pommes aßen, bekam er einen halben Brokkoli–Kopf – aber bestimmt schmackhaft zubereitet. Nur bei unserem Barbecue hat er es sich erlaubt, das volle Programm zu essen. Nun ist es aber kein Barbecue mehr. “Oh! Die sehen aber lecker aus!”, sagt der Kapitän. Sie sind hervorragend. Robert bringt ihm seinen Teller mit gedünstetem Fisch. Resigniert fängt er an zu essen.

Um 22:00 Uhr schaue ich, wie jeden Abend aufs Smartphone, um zu sehen, wo auf dem Atlantik wir inzwischen sind. Wir liegen auf N3° 16.563′ W11° 15.466′ Das nächste Festland ist Liberia. Es ist 300 km von uns entfernt. Es sind noch 3967 km nach Walvis Bay. Wir fahren jetzt auf den direkten Weg dahin.
Jetzt darf ich nicht mehr in Wochen rechnen, dass ich Namibia erreiche. In sieben Tagen bin ich schon in Walvis Bay.
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Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.


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