„Bei Langstrand ist ein toter Wal gestrandet,“ sagte Anita am Samstagabend. Sie war gerade auf Facebook unterwegs.
Vor ein paar Wochen hatten wir uns schon einen Wal bei Meile 100 angeschaut, der aber schon sehr unter dem Sand vergraben war.
Wir waren für eine Woche in Swakopmund und während ich noch überlegte, dass es eine tolle Gelegenheit sei, am nächsten Tag schnell mal nach Langstrand zu fahren und Wal zu gucken, sagte Anita:
„Die suchen eine Mitfahrgelegenheit für den Mitarbeiter vom Namibian Dolphin Project. Er will den Wal untersuchen, hat aber kein Auto. Sollen wir uns melden?“
„Ja,“ sagte ich und ein paar Botschaften hin und her später, war es abgemacht. Wir würden den Mitarbeiter am nächsten Tag in der Frühe abholen, zum Wal bringen und ihm bei der Untersuchung helfen.
Am Sonntag um 9:00 fanden wir uns beim Büro des Namibian Dolphin Projects In Walvis Bay ein. Eric, der junge Mitarbeiter, packte gerade noch ein paar Sachen ein und dann ging es los, Richtung Langstrand.
Eric war aufgeregt. Er war gerade am Dienstag in Walvis Bay angekommen, um sein Volontariat beim Dolphin Project anzutreten. Am Donnerstag war sein Chef für ein paar Tage verreist und prompt kam am Freitag die Meldung, dass ein toter Wal bei Pelican Point gesichtet worden war. Am Samstagnachmittag hieß es, dass der Wal nun einmal über die Walfischbucht nach Langstrand getrieben sei und dort an Land gespült worden war. Eric hatte nun die Aufgabe das Tier zu untersuchen. Noch nie hatte er sowas gemacht.
Er brachte aber die theoretischen Voraussetzungen mit, hatte er doch einen Abschluss in Ökologie von der Universität Stellenbosch. Aber für die erste wissenschaftliche Waluntersuchung seines Lebens hätte er doch gerne einen erfahrenen Kollegen dabeigehabt. Das ging aber nicht. Sein Chef würde ihn aber per WhatsApp unterstützen.
Und dann waren wir ja auch noch dabei. Wir sind zwar zwei alte Tannies (in den Augen solcher jungen Menschen), aber wir hatten Interesse und wollten helfen.
Gleich hinter Langstrand (auf der nördlichen Seite) ist ein Parkplatz für Angler. Wir hielten an und ließen die Luft aus den Reifen, damit wir auf dem Sandstrand fahren konnten. Mit eingeschaltetem Allrad fuhren wir durch den Tiefsand in Richtung Swakopmund.

Wir fanden den Wal dann schnell. Er war auch nicht zu übersehen. Als wir neben ihn anhielten und die Türen öffneten merkten wir augenblicklich: ein verwesender Wal stinkt bestialisch! Da fuhren wir lieber noch ein paar Meter weiter.



Auf der meeresgewandten Seite war der Gestank erträglich, da der Wind vom Ozean her kam. Eric packte seine Kisten aus und ich machte eine erste Runde um das riesige Tier um es zu fotografieren.
„Ah! Gut!“ sagte Eric. „Ich habe die Kamera vergessen. Könntest du für mich Bilder machen?“
Selbstverständlich würde ich das machen. Es gab nur ein Problem: Meine Kamera meldete mir, dass der Akku langsam zur Neige ging und ich hatte keinen anderen dabei.

Eric sagte mir dann, welche Aufnahmen er gerne hätte und klemmte sich einen Aufnahmebogen für gestrandete Meeressäuger auf ein Klemmbrett. Die Untersuchung begann.
Der Wal war mit runden Wunden mit etwa 10 cm Durchmesser übersät. War das die Ursache für seinen Tod?


„Das war ein Cookie Cutter Shark (Zigarrenhai)“, sagte Eric. Das sind ca. 1 Meter lange Haie, die solche Wunden beißen. Davon sterben die Meeressäuger aber nicht. Wahrscheinlich war der Wal krank gewesen. Vielleicht hatte er dann zu flaches Wasser erreicht und zum ersten Mal in seinem Leben die Schwerkraft erlebt, die dann aber seine inneren Organe erdrückt hatte. Vielleicht war er aber auch auf dem Meer gestorben und durch die Strömungen und Wind an Land gespült worden.
„Wahrscheinlich ist es ein Seihai,“ sagte Eric. Diese Tiere bewohnen die Tiefsee und kommen sehr selten in namibischen Gewässern vor. Ganz genau könnte man das aber erst nach der Untersuchung wissen.

Der Wal lag leicht seitlich auf dem Strand. Wir maßen seine Länge. 8,10 Meter.
Als nächstes sollte die Fluke vermessen werden. Sie war aber ein wenig mit Sand bedeckt, der erstmal entfernt werden sollte. Ich holte unseren Klappspaten aus dem Auto.
„Super!“ sagte Eric und schaufelte den Sand vorsichtig weg. Anita holte den Hundewassereimer und spülte die Fluke mit Meerwasser sauber.
Wir sind zwar keine Marinebiologinnen, aber wir haben die grobe Ausrüstung für eine Waluntersuchung immer im Auto.


Die Fluke war fast zwei Meter breit.
Wir machten noch ein paar andere Vermessungen: die Länge von der Achselhöhle der Seitenflosse bis auf den Rücken, die Größe der Rücken- und Seitenflosse, der Abstand zwischen Fluke und Rückenflosse.
Immer wieder bat Eric mich Details zu fotografieren.


Nur die rechte Seitenflosse war zu sehen. Eric versuchte, auch die zweite Flosse freizuschaufeln, aber sie war zu weit unter dem Tier.
Nun wollte er das Geschlecht des toten Tieres feststellen, aber auch diese Merkmale befanden sich unter dem Hai im Sand.
„Es ist ein Männchen!“ behauptete Anita. Eric grinste und sagte, ganz der Wissenschaftler, dass er das verifizieren müsste. Er begann am Bauch des Wals zu graben, um die Genitalien zu finden.

Wir überlegten kurz ob man das Tier mit der Winde, die wir am Auto haben, umdrehen könnte. Dann könnten wir endlich mal die Winde richtig einsetzen. Anderseits war der Wal schon sehr verwest und unser Windenseil würde nach totem Wal stinken. Auch wenn es der Wissenschaft dienen würde, hatte ich keine Lust, Windenseil zu waschen. Außerdem dachten wir dann doch, dass das Tier zu schwer wäre. Eric sagte, er würde weitergraben. Wir holten noch den langen Spaten vom Auto. Damit ging es besser.
Zwischendurch hielten immer wieder mal Menschen an, um sich das Tier anzusehen. Alle fanden unsere Arbeit hochinteressant. Meistens wurde gefragt, ob der Wal von den Wunden des Zigarrenhais gestorben sei. Wahrscheinlich nicht. Eric beantwortete geduldig alle Fragen. Einige wollten mehr über das Projekt wissen und schrieben ihre E-Mail-Adressen auf.
Endlich fand Eric die Genitalien, konnte aber noch immer nicht mit Gewissheit sagen, ob es ein männliches oder weibliches Tier war. Dazu müsste er ein Bild von unten bekommen. Wir versuchten es erstmal im Selfie-Modus unserer Smartphones, aber die Bilder waren nicht scharf. Eric buddelte weiter und tiefer und ich konnte mich dann auf den Bauch liegen, die Kamera unter den Wal halten und versuchen, indem ich ohne Sucherbild grob in die richtige Richtung zielte, die Genitalien zu fotografieren. Der Versuch gelang. Erich meinte, es sei tatsächlich ein männliches Tier.

„Sag ich doch!“ grinste Anita.
Nun mussten Gewebeproben genommen werden. Eric holte ein paar große Messer und Röhrchen für die Proben und begann bei der Achselhöhle der Seitenflosse zu schnibbeln. Ich zog mir wieder Gummihandschuhe an und hielt die Flosse zur Seite, damit er besser arbeiten könnte. Ich war froh, dass das Frühstück schon ein paar Stunden zurück lag, denn so ganz nah am Wal war der Geruch doch fast zu viel.
Eric schnitt ein paar Stücke vom Blubber aus dem Wal und tat sie in seine Röhrchen. Nun müsse er noch, zu guter Letzt, ein paar Barten herausholen.

Der Zunge des Tieres war schon grün, so verwest war sie. Ganz klar war, dass das Tier dort am meisten stank. Eric begann den Oberkiefer des Wales aufzuschneiden und legte den Knochen frei. Einmal traf er eine Stelle, wo sich der Wal schon innerlich verflüssigt hatte und eine Menge rote Flüssigkeit trat auf. Wir mussten beide würgen, aber Eric arbeitete weiter. Endlich hatte er ein Stück von den Barten, die wir in eine Plastiktüte taten.



Wir hatten nun schon über drei Stunden an dem Tier gearbeitet. Obwohl wir den Wal nur mit Gummihandschuhen angefasst hatten, war der Gestank in unseren Kleidern – bei Eric mehr als bei mir. Das erste, was wir tun würden, wenn wir wieder zuhause seien, wäre duschen, nahmen wir uns vor.
Das Kameraakku hatte, zum Glück, bis zuletzt gehalten. Alles, was fotografiert werden sollte, konnte fotografiert werden.
Wir packten unsere Sachen zusammen und fuhren zurück nach Walvis Bay. Den Gestank vom Wal nahmen wir mit. Eric meinte, er würde an dem Tag wohl nicht die Frau seines Lebens treffen. Ich war der Meinung, dass wenn sich eine Frau trotz des Gestanks heute in ihn verlieben würde, die Beziehung fürs Leben halten würde.
Es hat, trotz Gestank, viel Spaß gemacht, mit Eric einen Wal zu untersuchen. Viele Fragen bleiben offen, werden aber hoffentlich bald beantwortet.
Woran war der Wal gestorben? War er krank gewesen oder war er aus Versehen in zu flaches Wasser gekommen? War er vielleicht an Altersschwäche gestorben?
Wir wissen immer noch nicht, ob es ein Sei Wal war. Unsere Abmessungen und die DNA aus den Gewebeproben würde darüber Aufschluss geben. Eric versprach, uns über „unseren“ Wal auf dem Laufenden zu halten.

Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.


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