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Die Europäer haben die Uhr, wir haben die Zeit.
Afrikanisches Sprichwort
Warum reisen wir?
Warum reisen wir?
Warum reise ich? Warum packt mich immer wieder das Fernweh? Warum plane ich immer wieder eine Reise?
Ich weiß nicht, worum es dir geht, aber mir geht es um Erlebnisse, ums “Erleben”.
In dem Begriff “Erlebnis” steckt das Wort “Leben”. Erlebnisse füllen unsere Existenz mit Leben. Ein erfülltes Leben ist gefüllt mit Erlebnissen.
Reisen im Internet
Ich benutze das Internet oft, um mich für meine geplanten Reisen zu informieren. Ich habe ein Ziel im Kopf und frage mich, was es dort gibt und was ich dort erleben kann. Dabei stoße ich sehr häufig auf Artikel wie “20 Dinge, die du in Kapstadt gesehen haben musst” oder “Die perfekte Reiseroute für zwei Wochen Tansania” oder “Die vollständige Bucket-Liste für Kenia” oder “12 Erlebnisse, die du auf Sansibar gemacht haben musst”.
Und dann wird eine Liste von Sehenswürdigkeiten oder Aktivitäten gegeben, meistens mit schönen Bildern illustriert.
Und ja, solche Artikel sind hilfreich, wenn es darum geht, lohnende Reiseziele zu identifizieren. Ich lese sie auch.
Aber diese Artikel geben mir auch manchmal den Eindruck, dass es beim Reisen darum geht, Dinge von der Liste abzuhaken. Die fünf Hauptsehenswürdigkeiten in Namibia? Been there, done that, got the T-Shirt. Wo ist die nächste Liste?
Diese Artikel haben eine weitere Gemeinsamkeit: Diese Aufzählungen von Sehenswürdigkeiten, die man unbedingt gesehen, und Aktivitäten, die man unbedingt gemacht haben muss, sind oft sehr gedrängt. Irgendwie soll man die 20 Dinge in Kapstadt in zwei Tagen unterbringen. Oder die zweiwöchige Reise in Namibia beinhaltet alles von Mokorofahren in der Zambesi-Region über Dünenwandern im Sossusvlei bis hin zu einem Spaziergang am Fischfluss-Canyon. Und dazwischen sind dann noch andere “Dinge, die man unbedingt gesehen haben muss”: einen oder zwei Tage im Etosha Nationalpark, Felskunst bei Twyfelfontein, Swakopmund und natürlich auch ein Besuch beim Köcherbaumwald.
Viele Artikel im Internet geben mir, und vielleicht auch dir, den Eindruck, dass wir alles auf der Liste tatsächlich in so kurzer Zeit “abhaken” können.
Wir pinnen die Punkte auf eine Karte (oder in Basecamp) und verbinden sie mit Strichen und schon steht die Reise.
Was bei der Reiseplanung oft vernachlässigt wird
Manchmal bin ich im Namibia-Forum unterwegs. Wenn man sich für eine Reise in Afrika (nicht nur Namibia) vorbereiten will, ist es eine tolle Ressource. Man kann in Reiseberichten stöbern und Fragen stellen und diese werden schnell und kompetent beantwortet.
Viele Afrika-Anfänger stellen dann ihre geplante Route ins Forum und bitten um Feedback. Oft kann man sehen, dass der Fragesteller sich im Internet gut vorbereitet hat, denn es ist eine Liste von Orten, die man unbedingt gesehen haben muss. Alles ist drauf: z.B. bei einer dreiwöchigen Namibia-Rundfahrt alle Sehenswürdigkeiten vom Fischfluss-Canyon bis zur Zambesi Region und wenn man schon mal da ist, möchte man gleich noch einen Abstecher zu den Viktoriafällen und ins Okavango-Delta machen.
Das Problem ist, dass man für die ganze Reise zwei oder drei Wochen eingeplant hat.
Und dann reagieren ein paar der Namibia-Erfahrenen schon mal gereizt und es bricht ein Shitstorm los. Die, mit Erfahrung, sagen: “Das ist zuviel!” und die ohne Erfahrung sind enttäuscht und sagen: “Aber da und da steht, dass es geht.”
Afrika ist größer als man denkt
Was vor allem Europäer bei der Reiseplanung oft nicht bedenken ist, dass Afrika ein großer Kontinent ist. Das will ich mal illustrieren.
Das ist eine Karte vom südlichen Afrika:
Und das ist eine Karte von Europa im selben Maßstab:
Wenn ich die beiden Karten jetzt nur auf die Formen der beiden Erdteile reduziere und dann übereinander lege, dann kommt das raus:
Ich hoffe, dass du jetzt besser sehen kann, wie groß das südliche Afrika im Vergleich zu Europa ist.
Genauso wenig wie du eben mal schnell von Kopenhagen nach Rom (1900 km) fährst und dabei noch alle Sehenswürdigkeiten auf dem Weg mitnimmst, fährst du von Katima Mulilo in der Zambesi-Region zum Fish River Canyon (auch 1900 km) und hakst deine Liste ab.
Afrikas Straßen sind anders
Dazu kommen die Bedingungen unter denen du fährst. Wenn du in Europa von Kopenhagen nach Rom fährst, ist es einfach. Du fährst auf die Autobahn und bleibst auf einer Autobahn, bis du in Rom ankommst. Im südlichen Afrika dagegen, gibt es ein paar Autobahnen in einigen größeren Städte wie Johannesburg und Kapstadt und sonst fährst du im besten Falle auf einer zweispurigen asphaltierten Straße.
Diese Straße hat vielleicht Schlaglöcher oder Baustellen, bei denen die Schlaglöcher repariert werden.
Die meisten Straßen aber sind Gravel: zwar befestigt, aber nicht asphaltiert. Ich bemühe mal die deutsche Wikipedia zum Stichwort “Verkehr in Namibia”und stelle fest, dass 6.664 Straßenkilometer in dem Land asphaltiert sind und 35.700 nicht. Das ist ein Verhältnis von 1:5. Im besten Fall wurde die Gravelstraße gerade gehobelt und fährt sich sehr gut.
Meistens hat sie aber Wellblech und oft (gerade auf den von Touristen befahrenen Straßen) ist es extremes Wellblech. Das ist äußerst anstrengend zu fahren, weil Auto und Passagiere fortwährend durchgeschüttelt werden. Dazu kommt, dass du auf extremen Gravel auch mit Pannen rechnen musst: Reifenpanne, Fahrzeuge, die auseinanderbrechen, Teile die vom Auto abfallen, Blattfedern, die brechen – been there, done that – nicht auf extremen Offroad-Routen, sondern auf einer normalen Gravelstraße.
Die Höchstgeschwindigkeit, die du in Namibia und Südafrika auf asphaltierten Straßen fahren darfst ist 120 km/h. Wir fahren 100 km/h. Auf den Gravelstraßen siehst du oft die Schilder, die eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h angeben, aber es ist SEHR zu empfehlen, diese Straßen nicht schneller als 70-80 km/h zu befahren. Du willst nicht bei extremen Wellblech in der nächsten Kurve von der Straße rutschen. Und du willst auch nicht die Esel, Ziegen oder Rinder, die gerade über die Straße laufen, überfahren, weil du auf dem Gravel nicht so schnell bremsen kannst wie auf Asphalt. Meine Höchstgeschwindigkeit auf Gravel ist 80 km/h.
Die geplante dreiwöchige Rundreise in Namibia (mit einem Abstecher nach Botswana und den Victoriafällen) kann sehr schnell in eine endlose Fahrerei ausarten, bei der du grade mal Zeit zum Tanken und für eine Pipi-Pause hat. Das ist dann so anstrengend, dass du nach dem Urlaub erstmal Urlaub brauchst.
Das hat nichts mehr mit “Erleben” zu tun.
Wie wird aus einer Reise ein Erlebnis?
Ja, ich bin auch schon mal die 2000 km asphaltierte Straße von Windhoek nach Port Elizabeth in 2 Tagen gefahren. Das ist machbar. Aber es ist auch anstrengend und es war langweilig, weil ich nichts erlebt habe. Beim zweiten Mal Windhoek-Port Elizabeth und wieder zurück haben wir uns für den Hinweg vier und für den Rückweg fünf Tage Zeit genommen. Über die erste Fahrt kann ich nicht viel sagen. Bei der zweiten habe ich einiges erlebt.
Ich habe inzwischen zwei Faustregeln für meine Reiseplanung in Afrika:
- Ich fahre nicht im Dunkeln (außer bei Notfällen) – es ist einfach zu gefährlich nachts zu fahren.
- Ich fahre nicht mehr als 500 km pro Tag.
Regel Nr. 2 wird schon mal je nach Straßenbelag abgewandelt. Die 500 km gelten für asphaltierte Straßen. Auf Gravel werden nicht mehr als 300 km und Offroad höchstens 100 km pro Tag gefahren. Eher weniger.
Warum schränke ich mich so ein?
Ich möchte auf den Reisen etwas erleben und nicht nur eine Liste von Sehenswürdigkeiten abhaken. Fahren ist eigentlich langweilig (wenn man von 4×4-Trails absieht). Ich möchte zwischendrin mal anhalten und mir Zeit nehmen, ein wenig herum zu laufen. Ich möchte genug Zeit haben, mir die grandiose Landschaft anzusehen, den warmen Wind auf meiner Haut zu spüren, die absolute Stille der Wüste oder das Schnauben einer Herde hysterischer Zebras zu hören. Ich möchte genug Zeit haben, den Staub Afrikas zu riechen. Ich möchte mal bei einem Padstal am Wegesrand anhalten und Roosterkoek essen und Kaffee trinken. Ich möchte Zeit für ein Schwätzchen mit der Eigentümerin des Padstals haben. Abends möchte ich genug Zeit haben, das Lager aufzubauen, Essen zu kochen und am Lagerfeuer zu sitzen. Ich möchte nicht todmüde ins Bett fallen und keine Gelegenheit zum Sternegucken haben.
Die Erlebnisse liegen nicht nur bei den Sehenswürdigkeiten, für die du kaum Zeit hast, weil du am selben Tag noch 300 km vor dir hast und es ist schon Mittag, die Zeit drängt. Die Erlebnisse liegen auch auf dem Weg zwischen den Sehenswürdigkeiten. Wenn du genug Zeit hast.
Mein Tipp
Die Überschrift hat einen Tipp zur Reiseplanung angekündigt. Wie lautet er denn nun?
Mein Tipp ist: Nimm dir Zeit!
Nun sagst du vielleicht: “Ich habe aber nur drei Wochen! Und ich will doch alles sehen!”
Dann ist mein Rat: Wenn du nicht mehr Zeit hast, verkürze die Strecken. Weniger ist mehr! Mache die Hälfte und komme nächstes Jahr nochmal und mache die andere Hälfte.
Wenn du in drei Wochen alles sehen willst, wirst du nichts sehen.
Wenn ich eine Reise in Namibia plane, konzentriere ich mich auf höchstens ein Viertel des Landes, z.B. den Süden:
Oder den Nordwesten:
Oder den Nordosten:
Oder die Namib:
Ich versuche dann bei der Planung grob in dem Landesteil zu bleiben und selbst dann nicht alles da rein zu stopfen.
So habe ich während eines dreiwöchigen Urlaubs genug Zeit, etwas zu erleben.
Etwas ähnliches würde ich auch bei anderen großen Ländern machen. Z.B. bei Botswana würde ich mich auf den Norden oder Süden beschränken. Bei Südafrika würde ich nie Krügerpark, Drakensberge und Kapstadt in einen dreiwöchigen Urlaub packen, wie manche Webseiten es vorschlagen.
Wenn du auf deiner Reise in Afrika etwas erleben willst, nimm dir Zeit. Bleibe länger oder komme nochmal. Nimm dir Zeit, deine Umgebung auf dich einwirken zu lassen. Nimm dir Zeit für eine kleine Wanderung. Nimm dir Zeit zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu riechen und zu schmecken. Sei da und nehme es wahr. Erlebe es.
Anette Seiler
Anette bereist schon seit ihrer Kindheit das südliche Afrika. Sie liebt es, in der freien Natur zu sein, zu campen, Vögel zu beobachten und offroad zu fahren.
Günter Hupfer says
Hallo Anette,
sehr schöne Darstellung des großen Südafrikas.
Bei meinem nächsten Trip “Namibia” werde ich es genau so machen! Weniger Kilometer = mehr Eindrücke. Ja!
Viele Grüße
Günter
Anette says
Hallo Günter,
ich freue mich auf deinen nächsten Namibia-Trip.
Viele Grüße
Anette
Claudia says
Tolle Tipps Anette. Schicke diese gleich mal an unsere Besucher. Lg
Anette says
Danke für das Lob.